Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
rosafarbene Bluse. Himmel, seit ihrer Schulzeit hatte sie weder eine Bluse noch Strumpfhosen getragen, und noch nie in ihrem Leben Schuhe mit Pfennigabsätzen. Als sie die purpurroten Strähnen in ihrem Haar mit der Nagelschere entfernen wollte, hatte sie es völlig verunstaltet. Ihr blieb nur noch übrig, ihre Lockenpracht mit einem schlichten Gummiband nach hinten zu binden. Sie wollte gesetzt, verantwortungsbewusst aussehen, aber ihre Fassade war ein Witz, und Regis Forbushs eindringlicher Blick musste sie sofort durchschaut haben.
»Und Mikaelas Vater?«, fragte er spitz. »Sein Name steht nicht auf der Geburtsurkunde. Wissen Sie, wer er ist?«
Madeleine wollte schon protestieren, besann sich dann jedoch eines Besseren. Zur Zeit der Geburt hatte sie sich geweigert, den Vater zu benennen, weil sie befürchtete, dass Forrest dadurch in Schwierigkeiten kommen könnte. Hatte er nicht gesagt, dass sie ihn zu einem Kriminellen gemacht hätte? Und jetzt, fünf Jahre später, konnte er, wo auch immer er sich aufhalten mochte, nichts weniger gebrauchen, als aus heiterem Himmel zu erfahren, dass er Vater war.
Forbush wies mit dem Zeigefinger auf sie. »Unsere einzige Sorge gilt jetzt Mikaelas Wohlergehen.«
Madeleine nickte reumütig. Sie war geschockt, dass sie bei Mama nichts gemerkt hatte. Sie telefonierten mindestens zweimal im Monat miteinander, manchmal jede Woche, und ihr war nichts aufgefallen. Exzentrisch war Mama schon immer gewesen, sie war nun einmal eine ungewöhnliche Frau, aber daran war nichts auszusetzen. Konnte es wirklich stimmen, dass sie verrückt geworden war?
Regis Forbush setzte sich eine Brille auf. »Also, das Ehepaar, bei dem Mikaela in Pflege ist, liebt die Kleine außerordentlich.« Er öffnete die Akte und zog ein Stück Papier hervor. »Mr und Mrs X sind vierundvierzig beziehungsweise zweiundvierzig Jahre alt. Sie …«
Madeleine erstarrte. Sie war bereits halb aufgestanden, um zu protestieren, aber Regis Forbush fuhr fort.
»Sie haben spät geheiratet und sind kinderlos. Sie haben ein eigenes Haus, das in der Nähe von guten Schulen liegt. Mr X ist Anstreicher, Mrs X Hausfrau. Die Voraussetzungen für eine Adoption könnten nicht besser sein.« Er hob den Blick und sah Madeleine über die Brille hinweg an. »Angesichts der Tatsache, dass Sie das Kind nie selbst betreut haben, ist es vernünftig, dass wir eine Bewilligung ihres Adoptionsantrags erwägen.«
Madeleine klammerte sich an der Tischkante fest. »Des Adoptionsantrags? Wollen Sie damit sagen, dass die beiden glauben, Mikaela adoptieren zu können?«
Mr Forbush lächelte ein wenig. »Madeleine. Niemand ist herbeigeeilt, um das kleine Mädchen aus seiner entsetzlichen Lage zu retten. Ihr Vater kam zu einem Gespräch her, aber er fühlte sich nicht imstande, ein Kind in diesem Alter bei sich aufzunehmen. Und Sie scheinen aus dem Rucksack zu leben und meistens auf der anderen Seite des Atlantiks unterwegs zu sein. Selbst wenn Ihre Mutter aus der Klinik entlassen werden sollte, erhält sie nie wieder das Sorgerecht für Mikaela. Glauben Sie nicht, dieser Fall …«
»Nein!«, fiel ihm Madeleine vehement ins Wort. »Ja, ich bin auf Reisen gewesen. Ich wusste nicht, was vorging. Ich …«
Mr Forbush unterbrach sie seinerseits. »Es kann gut sein, dass Sie ohnehin keinen Rechtsanspruch haben, Madeleine. Wir sind bevollmächtigt, die Entscheidung selbst in die Hand zu nehmen. Aber diese Angelegenheit wird doch wohl einvernehmlich und ohne Streit gelöst werden können und vor allem, indem wir vorrangig an das Wohl des Kindes denken.«
Madeleine erhob sich. Aus dem Augenwinkel entdeckte sie, dass die oberen Knöpfe ihrer Bluse aufgesprungen waren. Der rote BH, den sie am Morgen bei Woolworth erstanden hatte, biss sich scheußlich mit ihrer rosa Bluse. Forbush war es auch aufgefallen, und ihn ließ es kalt, allerdings aus anderen Gründen. Der entscheidende Moment verstrich, ihre Empörung verpuffte.
»Ich will das nicht. Vergessen Sie nicht, dass ich erst sechzehn war, als ich sie bekam. Jetzt bin ich einundzwanzig. Ich kann Ihrem Vorschlag nicht zustimmen, es ist viel zu … endgültig. Sie können mich nicht zwingen, Mikaela zur Adoption freizugeben. Ich bin mir sicher, dass Sie das nicht können.«
Mit einer beiläufigen Handbewegung forderte Regis Forbush sie auf, wieder Platz nehmen. »Wir haben hier eine Mitarbeiterin, mit der Sie sprechen können – Karen. Vielleicht möchten Sie sich lieber mit einer Frau unterhalten.
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