Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
Vom Netzwerk:
nicht erinnern? Das war doch bei uns genauso. Kaum hatte man den Schulabschluss in der Tasche, fragten alle: Und was machst du jetzt? So, als ob ein letzter Zug abfahren würde, wenn man zwei Stunden nach Erhalt des Abschlusszeugnisses seine Karriere nicht bis mindestens zur Rente geplant hatte.«
    Damit hat sie recht. Auch ich wurde nach dem Schulabschluss von Mama und dem Rest der Welt ständig gelöchert, wie ich mir die Zukunft denn nun vorstellen würde. Und »mal sehen« wurde nicht akzeptiert. Ich nicke. So viel verstehe ich. »Aber was war das mit der Überlebensformel? Und warum wollte Daniel mich nicht mehr sehen?«
    Alissa nimmt einen Schluck Kaffee. Sie sieht mich an. »Ich stell mir das so vor: Daniel lernt dich kennen, ihr sprecht über lauter wichtige Dinge. Wie man leben soll. Wovon man träumt. In welche Richtung es überhaupt gehen soll. Und mit einem simplen Rat schlägst du den gordischen Knoten, in den sich seine eigene Planung und die seiner Eltern und der Erwachsenenwelt in seinem Kopf verknäult haben, entzwei. Das war für ihn in diesem Moment wichtiger als Sex.« Sie strahlt mich an. »Er brauchte dich also nicht mehr. Du hattest ihm einen Rat gegeben, und er ist damit losgereist. Er braucht die Route, nicht die Reisebegleitung.« Sie verschränkt die Arme vor der Brust. »Wie findest du meine Analyse?«
    Ich mache pflichtschuldig ein anerkennendes Geräusch, obwohl für mich noch viele Fragen bleiben. »Interessant. Und deswegen haben wir uns verloren?«
    Alissa nickt. »Und weil ihr keine gewachsene Verbindung hattet – so wie wir damals.«
    Also will sie doch noch einmal über uns reden. Innerlich weiß ich, dass sie recht hat. Mit einem Gespräch in der Badewanne ist nur in Fernsehserien gleich alles geklärt.
    Ich streiche über ihren Arm. »Für uns trifft der Ausdruck ›sich aus den Augen verlieren‹ eher zu. Wir hatten uns jahrelang im Blick. Aber Daniel ist lediglich einige Stunden durch mein Leben gewirbelt. Ich habe nichts verloren, was ich vorher besaß.«
    Alissa lächelt mir bestätigend zu. »Bei uns wurden erst die Abstände zwischen den Treffen und dann zwischen den Telefonaten immer länger.«
    »Es ist merkwürdig, wie so etwas geschieht, oder? Als ob der Wind zwar erst wenig, aber sehr regelmäßig Sand mit sich führt, und irgendwann ist dann ein See völlig versandet und ausgetrocknet.«
    Alissa greift nach meinen Händen. »Als du gestern anriefst, hatte ich das Gefühl, als ob der Sand plötzlich weggepustet wird und darunter ein klarer See zutage kommt.«
    Ich erwidere den Druck ihrer Finger.
    »Es ist großartig, dass du dich gleich ins Auto gesetzt hast.«
    Wir sehen einander liebevoll an. Ich schlucke. Alissa blickt aus dem Fenster. Sie macht sich los, fummelt ein Taschentuch aus ihrer Jeans und schneuzt sich geräuschvoll.
    »Du würdest doch auch kommen, wenn ich dich anrufe, oder?«
    Ich nicke stumm.
     
    Am Nachmittag klart es auf. Unschuldig, als ob es den strömenden Regen nie gegeben hätte, leuchtet die Sonne von einem hellblauen Himmel. Alissa schlüpft in ihre Schuhe. »Also, du Neuhamburgerin. Zeigt mir mal was von deiner Stadt!«
    Wie auf Verabredung haben wir noch nicht wieder über Nick gesprochen. Vielleicht glaubt Alissa, dass sie die Trennung von Nick und mir nur zu ignorieren braucht, um sie ungeschehen zu machen?
    Während ich meine neuen Schuhe anziehe, schlage ich Alissa vor, dass wir uns mit Dr. Lenchen treffen. »Du wirst sie mögen! Und dann verstehst du auch, warum ich es überhaupt so lange ohne dich in Hamburg ausgehalten habe.«
     
    Arm in Arm laufen wir am Kanalufer entlang zur Christuskirche und von dort ins Schanzenviertel. Ich kann es kaum erwarten, Dr. Lenchen und Alissa zusammenzubringen. Aber vorher zeige ich ihr die Läden und Boutiquen und leiste im Stillen Alexandra und Billie Abbitte. Wie aufgedreht war mir ihre Begeisterung vorgekommen, als ich mit ihnen durch die Schuhgeschäfte und Trödelläden stromerte! Jetzt kenne ich mich ein wenig aus und führe Alissa durch die Shops. Mit ihr an meiner Seite wage ich auch endlich, Ersatz für die karierten Blusen zu erwerben, die in meiner Reisetasche lagern. Solche Outfits ziehe ich fortan nur noch beim Laubharken an – sonst nicht! Ob Nick die Veränderungen wahrnehmen wird oder nicht, diese Gedanken versuche ich zu verdrängen. Zwar kontrolliere ich immer wieder mein Handy, aber tief im Inneren weiß ich, dass er nicht anrufen wird. Meine Gedanken verdüstern

Weitere Kostenlose Bücher