Erdbeerkönigin
meinem Lager hoch. »Nach der Dusche sieht die Welt schon ganz anders aus.« Mit der Welt hat sie recht, denn als wir den Weg zum portugiesischen Imbiss einschlagen, kämpft sich eine fahle Sonne durch bleiche Wolken, die an einigen Stellen aufreißen. Aber in mir ist es dunkel.
Wenn ich ein Wort dafür auswählen müsste, fiele mir nur eines ein: amputiert. Mit der Trennung von Nick trenne ich mich von meinem bisherigen Leben. Von unserer Familie, von unserem Lebensentwurf. Ich trenne mich von unserem gemeinsamen Traum. Mir wird schwindelig, wenn ich daran denke. Als ob sich der Boden unter mir langsam verschiebt. Ich habe etwas verloren, das vorher untrennbar zu mir gehörte. Etwas, das mich stützte und trug. Ohne das ich mir nicht vorstellen konnte zu leben.
Und jetzt? Es ist solch eine Leere in mir, wenn ich an Nick denke. Kein Ärger. Keine Genervtheit. Auch keine wütende Enttäuschung mehr. Schon jetzt vermisse ich die warme Zufriedenheit, an die ich mich in den Jahren gewöhnt habe. Ist das das Ende? Sind wir gescheitert? Meine Gedanken tanzen, während ich stumm neben Alissa herstolpere.
Alissa mustert mich besorgt von der Seite, aber sie stellt keine Fragen. Im Café starre ich trüb in meinen Milchkaffee und zerbrösle das Croissant. Alissa dagegen beobachtet die anderen Gäste aufmerksam. Leute, die mit aufgeschlagenen Laptops ihr Getränk schlürfen, andere, die auf ihren Smartphones herumtippen, wieder andere, die mit Ohrhörern am Stehtisch lehnen und mit dem Kopf im Takt zu einer Musik wippen, die nur sie hören. Alissa sagt nachdenklich: »Wie die Welt sich verändert hat und immer noch verändert! Draußen bei uns auf dem Land ist es bestimmt nicht anders, aber hier fällt es mir besonders auf.« Als ich sie verständnislos anschaue, weil ihre Worte nur in Zeitlupe in mein Bewusstsein tröpfeln, gibt sie mir einen aufmunternden Klaps. »Ach Eva, jetzt lass dich nicht so hängen. Das ändert doch momentan gar nichts. Außerdem brauchst du deine Kraft für heute Abend.« Sie verzieht ihr Gesicht. »Sonst wäre ich doch völlig vergeblich gekommen. Hm? Mach mal deinen Kopf ein bisschen frei. Falls ihr euch tatsächlich trennt, werden wir noch wochenlang über dieses Thema reden müssen. Weil eine Trennung nur so bewältigt werden kann.« Ich nicke traurig. Alissa sieht mich seufzend an. »Es klingt vielleicht hart, aber manchmal hilft es, auf das große Elend der Welt zu sehen, damit man nicht im privaten kleinen Elend absäuft.« Sie beugt sich nach hinten und zieht eine Zeitung aus dem Stapel. »Jetzt frühstückst du erst einmal, und dann reden wir noch ein wenig über deinen Liebeskummer. Ich bestell mir einen Obstsalat und lese Zeitung. Wer weiß, wenn ich dir dann von einem aktuellen Lebensmittelskandal oder einem Terroranschlag berichten kann oder vom Drogenkrieg in Mexiko, dann sieht dein eigenes Leben vielleicht nicht mehr so dunkel aus.« Sie schlägt die Zeitung auf und streift meine Gebäckkrümel mit einem mahnenden Blick. »Und bestell dir ein neues Croissant!« Sie vertieft sich in den Politikteil der Zeitung, während ich missmutig weiterbrösle. Es geht bei meinem Kummer nicht um Leben oder Tod. Es geht um Nick und mich und unsere Liebe. Das ist für mich das größte Thema der Welt – und mir ist es gleichgültig, dass es neben den Problemen der Welt unwichtig aussieht. Alissa scheint meine Gedanken zu spüren. »Eva, ich habe das nicht böse gemeint. Ich weiß, wie es dir geht. Aber sieh dich doch einmal an. Du bist gesund, du hast Verstand und du lebst auf der Sonnenseite dieser Erde. Entweder bekommt ihr zwei das wieder in den Griff – oder du denkst dir etwas Neues aus.« Sie sieht mich eindringlich an. »Mir ist aufgefallen, dass alte Leute, wenn sie aus ihrem Leben erzählen, niemals sagen: ›Und dann ging es nicht mehr weiter.‹ Das ist ja das Erschreckende, das Wunderbare und das Unfassbare am Leben: Es geht immer weiter. So oder so.«
Sie nickt mir wieder aufmunternd zu und widmet sich dann der Zeitung.
Gehorsam esse ich nun mein Croissant. Dabei horche ich in mich hinein. Ach, Nick – ist da noch Liebe? Ja, möchte ich am liebsten laut schreien. Aber gleichzeitig traue ich mich nicht mehr, diese Antwort zu geben. Der Streit um Benny war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Wir haben zwar vorher versucht, zu retten, was zu retten ist – aber der letzte Krach hat doch eindeutig gezeigt, dass da mehr als natürliche Ermüdungserscheinungen
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