Erdbeerkönigin
sich.
»Hallo!« Alissa hält mir ein T-Shirt vor die Nase. »Guck mal, das würde dir bestimmt stehen. Du magst doch Orange, oder?« Ich möchte zwar gern mein Leben ändern, aber nicht als Apfelsine enden.
Zwei schlichte schwarze T-Shirts und eine weich fallende indische Bluse werden wenig später in einer Plastiktüte verstaut, während ich mich bei Alissa dafür bedanke, dass sie mir das Geld kurzfristig vorschießt. Ich will Nicks und mein gemeinsames Konto nicht mit meinem Ausflug belasten. »Ich bin dir sowieso noch etwas schuldig«, lautet ihre Antwort.
»Wieso?«
»Du hast damals die Inlineskates für beide Jungs bezahlt. Und ich habe ständig vergessen, dir das Geld zurückzugeben«, sagt sie. »Ich habe den Erinnerungszettel letzte Woche beim Ausmisten der Wintersachen gefunden.« Sie lacht mich an. »Es war also die Frage, wer sich zuerst meldet. Du bist mir nur zuvorgekommen.«
Sie wechselt das Thema. »Und was jetzt? Wie sieht es mit dem Hafen aus? Hafencity? Elbphilharmonie? Fischmarkt? Reeperbahn? Kurz, all das, was im Reiseführer unter Kurztrip in die Hansestadt steht?«
Ich verziehe erschrocken mein Gesicht. »Würde dir das Spaß machen?«
Alissa hängt sich grinsend bei mir ein.
»Ja und nein. Aber hast du überhaupt etwas von Hamburg gesehen, was außerhalb von Daniels Dunstkreis liegt?« Bevor ich antworten kann, jubelt sie überraschend auf und zieht mich in einen ägyptischen Shop, wo sie sich erfreut durch einen Stapel Kissenbezüge aus bunter Seide wühlt. »Genau solche wünsche ich mir für unser Sofa schon lange.« Während sie konzentriert die Farben vergleicht, versenke ich meine Hände geistesabwesend in eine Kiste mit bunten Glasperlen. Es stimmt, ich habe nur den Lebenskreis von Daniel erforscht. Die angesagten Plätze, die Beach Clubs, die Nachtbars, die Tanzschuppen und Kinos – das alles habe ich nicht kennengelernt. Ich bin durch die Innenstadt gestromert und weiß, wo das Rathaus steht. Aber so, wie ich vor zwanzig Jahren mit den Augen von Daniel auf die Stadt geblickt und sie von der Elbe aus als schimmernde Silhouette in Erinnerung habe, so habe ich bei diesem Aufenthalt vor allem die Stadtteile gesehen, die für Daniels Leben von Bedeutung waren. Habe ich abermals verpasst, Hamburg kennenzulernen?
»Tata!« Alissa präsentiert sich mit einer vollgestopften Tüte als glückliche Besitzerin von sieben neuen Kissenbezügen in den Farben des Regenbogens.
Sie hakt sich wieder unternehmungslustig bei mir ein. »Und jetzt Kaffeetrinken mit deiner neuen Freundin!«
Dr. Lenchen erwartet uns schon im Café unter der Linde. Sie hat einen Tisch auf der Veranda unter den alten Bäumen belegt. Es gibt Erdbeerkuchen mit Sahne, und Dr. Lenchen spendiert ein Glas Sekt. »Auf unsere Erdbeerkönigin, die uns an diesem schönen Tag zusammengeführt hat!«
Früher habe ich stets abgewehrt, wenn die Rede auf meinen alten Titel kam. Es war mir peinlich und ich hatte das Gefühl, jeder würde sich wundern, dass ausgerechnet ich einmal bei der Wahl zu einer Königin gewonnen habe. Aber heute weiß ich, dass mir dieser Titel immer viel bedeutet hat. Und dass er mein Leben verändert und bereichert hat. Also stoße ich mit meinen Freundinnen an. »Auf alle Erdbeerköniginnen dieser Welt!«
Dr. Lenchen hebt den Zeigefinger. »Hört ihr das?«
Tatsächlich ist über den Straßengeräuschen der feine, klare Ton des Akkordeons zu hören: Stani kommt die Straße herauf. Als er uns sieht, lächelt er breit und winkt. Er spielt das Stück zu Ende und geht dann mit dem Hut herum. Er hält sich kurz bei einem Obdachlosen auf, der an den Tischen des Cafés versucht, Zeitungen zu verkaufen. Wir sehen, wie Stani dem Verkäufer eine Münze in die Hand drückt, danach steuert er unseren Tisch an.
Alissa beobachtet erstaunt, dass er zuerst Dr. Lenchen, dann mich und zuletzt sie mit Handschlag begrüßt.
»Alissa, das ist Stanislaw aus St. Petersburg, ein Freund von Dr. Lenchen und mir. Stani, das ist Alissa, meine beste Freundin. Sie wohnt in meinem Nachbardorf. Und sie ist Russin.«
Stani verbeugt sich. »Das habe ich mir gleich gedacht. Eine so schöne Frau kann nur Russin sein.« Er zieht sich einen Stuhl an den Tisch und verstaut sein Akkordeon im Koffer.
Dr. Lenchen lacht. Sie tätschelt Alissas Hand. »Das hat er zu mir auch gesagt. Dabei bin ich stinknormale Hamburgerin.« Sie schiebt Stanislaw ihr Sektglas hin. »Hier, du alter Charmeur.«
Die nette Kellnerin, die mir das
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