Erdbeermond: Roman (German Edition)
kalten Licht des Tages anrufen würde, stocknüchtern, würde ich wahrscheinlich mit ihm sprechen«, sagte sie. »Aber ich mache mich nicht zum Idioten und glaube seinen Liebeserklärungen, die er macht, wenn er völlig besoffen ist. Stell dir doch mal vor, wenn ich ihn bei seinem betrunkenen Wort nehmen und anrufen würde?« Manchmal spielten wir uns die Szene vor: Ich war dann Joey und sprach genuschelte Nachrichten auf ihren Anrufbeantworter, während Jacqui sich als sentimentalere Version ihrer selbst gab, sich die Augen tupfte und säuselte: »Oh, er liebt mich doch! Ich bin so glücklich, die glücklichste Frau auf der Welt. Ich rufe ihn sofort an.«
Dann war ich wieder dran und gab vor, als Joey ganz verkatert aufzuwachen und nervös auf das Telefon zu starren, während Jacqui sagte: »Klingel, klingel.«
»Hallo«, sagte ich grummelig in die imaginäre Muschel hinein.
»Joey!«, quiekte Jacqui dann. »Ich bin’s. Ich habe deine Nachricht bekommen. Ich wusste, dass du dich besinnen würdest. Wann wirst du mich ehelichen?« In diesen gestellten Szenen sprach sie immer davon, dass er sie »ehelichen« würde, als wäre es ein Melodram.
Dann warf ich den unsichtbaren Hörer hin, fing an, im Zimmer rumzulaufen und schrie: »Ich will ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden.«
Und dann kreischten wir beide vor Lachen.
Aber bei der Geburtsvorbereitung lachte Jacqui nicht. Ihr war sehr unbehaglich dabei, und nicht nur, weil das Ganze extrem federstreichlerisch war. Die Leiterin war im Yoga so gut, dass sie den Fuß hinter ihr Ohr legen konnte. Sie hieß Quand-adora. »Das heißt Lichtspinnerin«, erklärte sie. Aber sie sagte nicht, in welcher Sprache.
»In ihrer eigenen selbsterfundenen, federstreichlerischen Sprache«, sagte Jacqui später. »Eher schon Mistspinnerin.«
Die Lichtspinnerin forderte uns auf, im Schneidersitz Platz zu nehmen und einen Kreis zu bilden und uns bei Ingwertee gegenseitig vorzustellen.
»Ich bin Dolores, die Geburtspartnerin von Celia. Ich bin außerdem Celias Schwester.«
»Ich bin Celia.«
»Ich heiße Ashley. Ich bekomme mein erstes Kind.«
»Ich bin Jurg, Ashleys Mann und Geburtspartner.«
Als wir zu den mutmaßlichen Jolly Girls kamen, zeigte Jacqui erhöhte Aufmerksamkeit.
»Ich bin Ingrid«, sagte die Schwangere, und die Frau neben ihr sagte: »Ich bin Krista, Ingrids Geburtspartner und Geliebte.«
Jacqui stieß mir ihren spitzen Ellbogen in die Rippen.
»Ich bin Jacqui«, sagte Jacqui. »Mein Freund hat sich von mir getrennt, als ich ihm sagte, dass ich schwanger sei.«
»Und ich bin Anna, Jacquis Geburtspartnerin. Aber nicht ihre Geliebte. Obwohl es nicht wichtig wäre, wenn doch.«
»Entschuldigung«, sagte Celia dazwischen. »Ich wusste nicht, dass wir uns so viel mitteilen sollen. Hätte ich dazu sagen sollen, dass ich einen Samenspender benutzt habe?«
»Das haben wir auch gemacht«, sagte Krista. »Nichts Besonderes.«
»Jede sagt so viel, wie sie möchte und wie ihr gut tut«, sagte Quand-adora, so wie Menschen ihren Typs das taten. »Heute wollen wir über Schmerzvermeidung sprechen. Wer von Ihnen hat vor, in einem Gebärbecken zu entbinden?«
Fast alle Hände schossen in die Höhe. Sieben wollten das tun. Jacqui war die Einzige, die sich nicht meldete.
»Auch in Gebärbecken gibt es Lachgas und Sauerstoff«, sagte Quand-adora. »Doch in den nächsten sechs Wochen werden wir über verschiedene wunderbare Methoden sprechen, wodurch diese Dinge überflüssig werden. Jacqui, haben Sie schon über Schmerzmittel nachgedacht?«
»Ehm, na ja, das Übliche, Narkose.«
Später sagte Jacqui, es seien weniger missbilligende Blicke gewesen, mit denen sie bedacht wurde, als mitleidige Blicke.
»Okay«, sagte Quand-adora. »Vielleicht sollten Sie sich jetzt noch nicht endgültig entscheiden. Vielleicht sollten Sie sich dem öffnen, was erscheint.«
»Eh … klar.«
»Das Erste, was Sie begreifen müssen, ist, dass der Schmerz Ihr Freund ist. Der Schmerz bringt Ihr Kind zur Welt, ohne den Schmerz gäbe es kein Baby. Jetzt wollen wir die Augen zumachen, und jede versucht, ihr Zentrum zu finden und den Schmerz als freundliche Kraft zu empfinden, als ›goldenen Ball von Energie‹.«
Ich hatte nicht gewusst, dass ich ein Zentrum hatte, aber ich bemühte mich, es zu finden, und nachdem wir gut zwanzig Minuten mit der Visualisierung zugebracht hatten, lernte ich, Jacqui das Kreuz zu massieren, um so Schmerzen zu lindern für den Fall, dass die Visualisierung
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