Erdbeermond: Roman (German Edition)
du brauchtest, damals.«
Er nickte. Er hatte sich seit unserer letzten Begegnung verändert. Er sah älter aus, kompakter. Erwachsener.
»Es ist so gut, dich zu sehen«, platzte ich heraus.
Er lächelte. »Ganz meinerseits. Ruf mich doch mal an, dann machen wir was zusammen.«
»Wir könnten einer neuen Verschwörungstheorie nachgehen.«
»Verschwörungstheorie?«, fragte er.
»Ja, jetzt erzähl mir nicht, dass dich das nicht mehr interessiert.«
»Oh, doch, ich bin nur, also …«
»Hast du eine gute neue?«
»Eh, ja, mal sehen.«
»Lass hören!«
»Okay. Ehm, ist dir mal aufgefallen, wie viele Menschen bei Skiunfällen sterben, weil sie mit einem Baum kollidieren? Einer der Kennedys, Sonny von Sonny und Cher – und viele andere. Ich frage mich also, steckt da eine Verschwörung dahinter? Manipuliert jemand die Richtung der Skier? Und der neue Erkennungssatz der Mafia, statt ›Heute Abend schläft er bei den Fischen‹, könnte sein: ›Heute Abend klebt sein Ski am Baum‹.«
»›Heute Abend klebt sein Ski am Baum‹«, wiederholte ich. »Du bist süß. Zum Schreien komisch.«
»Oder wir gehen einfach ins Kino«, sagte er.
VIERZEHN
»Wer von euch hat meinen Multiple Orgasm gestohlen?« Mum hatte die Tür ihres Hotelzimmers aufgerissen und schrie durch den Flur. »Claire, Helen, gebt mir meinen Multiple Orgasm zurück!«
Ein Paar mittleren Alters in praktischer Touristenbekleidung wollte gerade sein Zimmer verlassen. Mum bemerkte sie, wechselte umgehend ihr Verhalten, entbot einen höflichen Gruß – eine merkwürdige Kinnruck-Geste – und sagte: »Herrlicher Morgen.«
Die beiden sahen zutiefst verstört aus und eilten zu den Aufzügen. Sobald sie um die Ecke verschwunden waren, schrie Mum: »Ihr lasst mir aber auch gar nichts!«
»Beruhige dich doch«, sagte ich im Zimmer.
»Mich beruhigen? Meine Tochter heiratet heute, auch wenn es nicht kirchlich ist, und eine von euch fünf Gören hat mir meinen Multiple Orgasm gestohlen. So wie damals, als ihr alle meine Kämme gestohlen habt …« Daran wurde häufig erinnert. »… ich musste zur Messe und hatte nur eine Gabel, um mir die Haare zu kämmen. Nichts anderes als eine Gabel, um mir die Haare zu kämmen! Was macht dein Vater nur so lange im Bad? Er ist seit Tagen da drin. Geh mal zu Claire und sieh nach, ob sie meinen Lippenstift gestohlen hat.«
Claire und Maggie sowie ihre jeweiligen Familien waren ebenfalls im Gramercy untergebracht. Alle hatten Zimmer auf derselben Etage.
»Geh schon«, drängte Mum. »Sieh, ob du einen Lippenstift für mich auftreiben kannst.«
Im Flur war JJ dabei, einen Feuerlöscher mit den Füßen zu bearbeiten. Er trug einen gelben Hut mit breiter Krempe, einen »Damenhut« und, so vermutete ich, Teil von Maggies Hochzeitsstaat. Ich beobachtete seine energische Attacke auf den Feuerlöscher und fragte mich, was Liesl gemeint haben könnte. Warum war JJ so wichtig für mich? Warum würde er »noch wichtiger« werden? Plötzlich ging es mir auf: Vielleicht hatte Liesl gar nicht von JJ gesprochen. Sie hatte gesagt, »ein kleiner blonder Junge mit einer Kappe«, und sie hatte den »Anfangsbuchstaben J« erwähnt. »Der kleine Jack« passte zu dieser Beschreibung genauso wie JJ. Vielleicht hatte Aidan – über Liesl – versucht, mir von ihm zu erzählen? Mir lief ein Schauer über den Rücken, und ich kriegte eine Gänsehaut.
Hatte Liesl also doch mit Aidan Kontakt aufgenommen? Ich wusste es nicht. Und wahrscheinlich würde ich es auch nie wissen. Außerdem, was machte es jetzt noch?
»Was machst du da mit meinem guten Hut?« Maggie, in einem schlichten blauen Kostüm, kam aus dem Zimmer. »Gib ihn mir und hör auf, das Ding da zu treten.«
Aus Maggies Zimmer konnte man die kleine Holly hören, die lauthals vor sich hinsang.
Dann kam Claire aus ihrem Zimmer. »Das Hotel ist eine Bruchbude«, sagte sie. »Mum hat gesagt, es sei sehr hübsch.«
»Die Heizung funktioniert nicht«, sagte Maggie.
»Der Aufzug auch nicht.«
»Es ist günstig, hat Mum gesagt.«
»Was heißt hier günstig? Kate, hör auf dagegenzutreten, sonst explodiert es noch.«
Claire und ihre zwölfjährige Tochter Kate waren ähnlich angezogen: knapp den Po bedeckende Miniröcke, wacklige, hochhackige Schuhe und viel Glitzerkram.
Im Gegensatz dazu trug Claires sechsjährige Tochter Francesca altmodische Schnallenschuhe und ein Kleidchen mit Puffärmeln und bestickten Borten. Sie sah aus wie eine Porzellanpuppe.
»Du siehst süß aus«,
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