Erdbeermond: Roman (German Edition)
Gizelda ist mein Bühnenname, und im Mittleren Westen sind wir ein riesiger Erfolg. Ich nähe alle meine Kostüme selbst, sechshundert Pailletten pro Kostüm, alle mit der Hand, und beim Nähen versinke ich in einen meditativen Zustand. Marvo ist in Wirklichkeit mein Vater, und sein richtiger Name ist Frank. Jetzt erzählen Sie von sich.«
»Nein, erzählen Sie.«
Ich dachte einen Moment nach. »Okay. Sie sind der Sohn eines entmachteten osteuropäischen Despoten, der seinem Volk Millionen gestohlen hat.« Ich lächelte mit einem Anflug von Grausamkeit. »Das Geld ist versteckt, und Sie und Ihr Vater sind auf der Suche danach.« Seine Miene wurde zunehmend besorgter, je schlimmer ich seine Identität machte, deshalb erbarmte ich mich seiner und gab ihm gute Seiten. »Aber Sie wollen das Geld finden, damit Sie es Ihrem Volk zurückgeben können.«
»Danke«, sagte er. »Sonst noch was?«
»Sie haben eine gute Beziehung zu Ihrer ersten Frau, einer italienischen Tennisspielerin. Außerdem war sie Pornostar«, fügte ich hinzu.»Sie selbst sind auch ein exzellenter Tennisspieler und hätten Profi werden können, aber ihr Tennisarm hat dem ein Ende gemacht.«
»Wo davon die Rede ist – wie geht es der verbrühten Hand?«
»Gut. Und ich freue mich, dass Sie sich von dem Koma erholt haben, das ich verursacht hatte. Gab es Nebenwirkungen?«
»Offensichtlich nicht. Nach dem Verlauf dieses Abends zu urteilen, bin ich smarta als je zuvoa.«
Da war wieder dieser Bostonakzent. Ich fand ihn umwerfend sexy.
»Sagen Sie das noch einmal.«
»Was?«
»Smarter.«
»Smarta.«
»Genau.«
Er zuckte die Schultern und wollte sich willig zeigen. »Smarta.«
Ein Schub körperlichen Verlangens, schlimmer als Heißhunger, überkam mich.
Das musste ich im Zaum halten.
»Eine Runde Pool?«, schlug ich vor.
»Sie spielen?«
»Ich spiele.«
Die Doppeldeutigkeit und ein bedeutungsvoller Blickwechsel weckten etwas tief in mir. Nachdem wir zwanzig Minuten lang die Kugeln in bauchige Taschen versenkt hatten, die mich an Hodensäcke erinnerten, gewann ich.
»Sie sind gut«, sagte er.
»Sie haben mich gewinnen lassen.« Ich piekte ihn mit dem Queue in den Bauch. »Tun Sie das nie wieder.«
Er wollte protestieren, und ich bohrte das Queue noch etwas weiter in seinen Bauch. Schöne feste Bauchmuskeln. Ein paar Sekunden lang sahen wir uns tief in die Augen, dann stellten wir schweigend die Queues wieder in den Ständer.
Als die Bar um vier Uhr morgens schloss, bot Aidan an, mich nach Hause zu begleiten, aber es war zu weit. Vierzig Blocks zu weit.
»Wir sind nicht mehr in Kansas, Toto«, sagte ich.
»Okay, nehmen wir ein Taxi. Ich nehme Sie mit.«
Wir saßen auf der Rückbank, hörten zu, wie der Fahrer auf Russisch in sein Handy schrie, und schwiegen. Ich warf rasch einen Blick auf Aidan, die Lichter und kantigen Schatten der Stadt flogen über sein Gesicht und machten seinen Ausdruck unkenntlich. Ich fragte mich, wie es weitergehen würde. Eins wusste ich bestimmt: Nach der letzten Zurückweisung würde ich keine Visitenkarten und keine Abende bei einem Drink anbieten.
Wir kamen zu den bröckelnden Stufen vor meinem Haus. »Hier wohne ich.«
Es wäre schön gewesen, hätten wir allein sein können, um zu besprechen, wie es weitergehen würde, aber wir mussten im Taxi sitzen bleiben, denn würden wir ohne zu bezahlen aussteigen, könnte der Taxifahrer uns erschießen.
»Also … vermutlich treffen Sie sich mit anderen Männern«, sagte Aidan.
»Vermutlich.«
»Könnten Sie mich auf Ihre Liste setzen?«
Ich dachte einen Moment nach. »Das könnte ich tun.«
Ich fragte ihn nicht, ob er sich mit anderen Frauen traf. Das ging mich nichts an (zumindest musste man das sagen). Außerdem, so wie Leon und Dana sich verhalten hatten – freundlich, aber nicht sonderlich interessiert, als wären sie schon etlichen Freundinnen vorgestellt worden –, schien es mir offensichtlich.
»Kann ich Ihre Telefonnummer haben?«, fragte er.
»Ich habe Ihnen meine Telefonnummer schon gegeben«, sagte ich und stieg aus.
Wenn er mich wirklich sehen wollte, würde er mich finden.
NEUN
Ich wachte in meinem schmalen Bett in dem Raum voller Sofas auf und versuchte ein paar benommene Minuten lang aus dem Fenster zu gucken. Da war die ältere Frau mit dem Hund. Ich beobachtete sie verschlafen. Dann weniger verschlafen. Ich setzte mich halb im Bett auf: Das war keine Einbildung. Der arme Hund wollte sein Geschäft nicht da verrichten, doch die Frau
Weitere Kostenlose Bücher