Erdbeermond: Roman (German Edition)
missbilligendem Ton.
»Da ist er.« Er war unten und schob sich durch die Massen und sah sich verloren um. »Wir sind hier«, rief ich.
Er guckte hoch, sah mich, lächelte, als würde er sich wirklich freuen, und sagte tonlos: »Hey.«
»Gott, er sieht umwerfend aus.« Jacqui klang überrascht, fing sich dann aber wieder. »Das zählt ja nicht. Du könntest den attraktivsten Mann der Welt haben, aber wenn er die Nüsse an der Bar nicht essen würde, hätte er das Federstreichlergen, und das ist das Aus.«
»Er isst die Nüsse«, sagte ich knapp, dann sagte ich nichts mehr, weil er da war.
Er küsste mich, setzte sich neben mich und nickte Jacqui zu.
»Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen?« Eine Kellnerin legte drei Cocktailservietten auf den Tisch und stellte eine Schale mit Nüssen hin.
»Für mich einen Martini«, sagte ich.
»Für mich auch«, sagte Jacqui.
»Für Sie?« Die Kellnerin sah Aidan an.
»Ich kann mich nicht entscheiden«, sagte er. »Für mich auch einen.«
Ich fragte mich, was Jacqui daraus schließen würde. Waren Cocktails was für Weicheier? Wäre es besser gewesen, wenn er ein Bier bestellt hätte?
»Hier, Nüsse.« Jacqui reichte ihm die Schale.
»Oh, danke.«
Ich grinste Jacqui an.
Wir hatten einen tollen Abend. Wir verstanden uns alle so gut, dass wir noch einen zweiten Drink bestellten, dann einen dritten, dann bestand Aidan darauf, die Rechnung zu übernehmen. Auch das verunsicherte mich. Hätte ein Nicht-Federstreichler darauf bestanden, sie durch drei zu teilen?
»Danke«, sagte ich, »das war nicht nötig.«
»Ja, danke«, sagte Jacqui, und ich hielt den Atem an. Wenn er jetzt sagte, dass es ein Vergnügen gewesen wäre, den Abend mit zwei so reizenden jungen Damen verbracht zu haben, dann wäre es das Ende. Aber er sagte nur: »Gern geschehen«, und das musste doch positiv für ihn zu Buche schlagen in der Federstreichlerprüfung.
»Ich sollte schnell noch zur Toilette, bevor wir den Rückweg antreten«, sagte Jacqui.
»Gute Idee.« Ich ging hinter ihr her. »Und? Federstreichler?«
»Der?«, rief sie. »Niemals.«
»Gut.« Ich war erfreut – hocherfreut –, dass Aidan die Prüfung so brillant bestanden hatte.
Mit warmer Bewunderung fügte sie dann hinzu: »Ich wette, er lässt sich nicht leicht an die Leine legen«, und meine gute Stimmung sank ein wenig.
VIERZEHN
Am Samstagnachmittag fuhr ein Taxi vor der Walsh-Residenz vor. Die Tür öffnete sich, und hervor kam eine hochhackige Riemchensandalette mit einem gebräunten Bein (am Fußgelenk ein paar orangene Streifen), dann ein kurzer, ungesäumter Jeansrock, ein prall gefülltes T-Shirt mit der Aufschrift My Boyfriend is Out of Town und eine Kaskade von langem Haar mit Vanille-Strähnchen. Claire war gekommen.
»Sie ist vierzig«, sagte Helen besorgt. »Sie sieht aus wie ein Tramp. So schlimm war sie bisher nie.«
»Das gefällt mir, viel besser als Margaret«, sagte Mum und ging zur Tür, wo sie Claire begrüßte, indem sie zum Taxi rief: »Der Wolf im Schafspelz. Sehr gut, mein Mädel!«
Grinsend kam Claire die Einfahrt rauf – die zwölf Zentimeter Oberschenkel, die sie unter ihrem Rock zeigte, wiesen nur wenig Cellulitis auf – und warf sich Mum in die Arme.
»Du siehst so gut aus wie nie zuvor«, erklärte Mum. »Wo hast du denn das T-Shirt her? Vielleicht könntest du mal mit Margaret sprechen, sie ist deine jüngere Schwester, und sie sieht älter als ich aus. Sie schadet meinem Image.«
»Wie du aussiehst«, sagte Helen verächtlich. »In diesen Proll-Klamotten – und das mit vierzig!«
»Und weißt du, was sie sagen?« Claire legte Helen eine Hand auf die Schulter.
»Dein Arsch hängt bis zum Fußboden?«
»Das Leben beginnt!«, brüllte Claire ihr ins Gesicht. »Das Leben BEGINNT mit vierzig. Vierzig ist das, was früher dreißig war. Und das Alter ist nur eine Zahl. Und du bist so jung, wie du dich fühlst. Jetzt verpiss dich!«
Sie drehte sich auf ihren hohen Absätzen um und nahm mich mit einem strahlenden Lächeln in die Arme. »Anna, wie geht es dir, meine Liebe?«
Ich war erschöpft. Claire war erst seit wenigen Minuten wieder da, und schon jetzt hatten mich das Schreien, die Beschimpfungen und die abrupt umschlagende Stimmung zurück in meine Kindheit befördert.
»Du siehst schon viel besser aus«, sagte sie, dann sah sie sich um und suchte Rachel. »Wo ist sie?«
»Sie versteckt sich.«
»Ich verstecke mich nicht, verdammt noch mal, ich meditiere.« Rachel war irgendwo
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