Erdbeermond: Roman (German Edition)
über uns, und wir alle blickten nach oben. Sie lag auf dem Bauch auf dem Flur, und ihre Nase ragte zwischen den Stäben des Geländers hindurch. »Du hättest dir die Reise sparen können, denn ich werde ihn auf jeden Fall heiraten, und wie vereinbarst du deine feministischen Prinzipien mit einem so kurzen Rock?«
»Ich ziehe mich nicht für Männer an, ich ziehe an, was mir gefällt.«
»Ja, genau«, höhnte Mum.
Nach einer Weile gab Rachel das kindliche Gehabe auf, das wir offenbar alle angenommen hatten (besonders Mum), und wurde wieder weise und heiter und erklärte sich bereit, Claire zuzuhören. Ich, Helen und Mum fragten, ob wir dabei sein könnten, aber Rachel sagte, sie hätte das nicht so gern, worauf Helen die Augen niederschlug und sagte: »Das respektieren wir natürlich.« Sobald die beiden sich in ein Schlafzimmer zurückgezogen hatten, rannten wir anderen nach oben (also, sie rannten, ich humpelte) und lauschten an der Tür, aber abgesehen von gelegentlich laut herausgestoßenen Wörtern wie »Besitz« und »Objekte« und Rachels super-nervigem verständnisvollem Gemurmel war nichts zu hören, sodass es uns langweilte.
Nachdem es Claire nicht gelungen war, Rachel das Heiraten auszureden, verließ sie uns am Sonntagabend mit hochmütiger Miene. (Aber zuerst räumte sie noch die letzten Lippenstifte aus meinem Make-up-Beutel, denn sie sagte, es gehe nicht nur um ihre eigenen Bedürfnisse, sondern auch um die ihrer beiden Töchter, die elf und fünf Jahre alt sind und Eindruck bei ihren Freunden machen müssten.)
An dem Abend kam Dad und sprach mit mir – so gut er konnte. »Bist du gerüstet für die Reise morgen und so?«
»Ja, Dad.«
»Na, ehm … dann … viel Glück und so, wenn du wieder da bist, hm … und üb schön das Laufen«, sagte er bestimmt. »Das hilft dem Knie und so.«
So oft wie er »und so« gesagt hatte, wusste ich, dass er sehr besorgt war. Dad würde sofort sein Leben für mich und seine Familie hingeben, aber er konnte einfach nicht über Gefühle sprechen.
»Vielleicht, wenn du da bist, solltest du dir ein Hobby zulegen und so«, schlug er vor. »Dann muss man nicht so viel nachdenken. Vielleicht Golf. Das ist natürlich auch gut für das Knie und so.«
»Danke, Dad. Ich überlege es mir.«
»Obwohl, es muss ja nicht Golf sein«, lenkte er ein. »Was anderes geht auch. Was für Damen. Und dann kommen wir ja bald mal rüber und so, um Rachel bei ihrer Hochzeit mit diesem haarigen Iren zu helfen.«
Am Flughafen las Mum die Anzeigentafel, sah von mir zu Rachel und rief dann: »Das ist doch eine Schande, dass ihr beide in New York lebt.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und schob die Brust vor. Sie hatte Claire das My-Boyfriend-is-Out-of-Town-T-Shirt abgeluchst und versuchte nun, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Könnte eine von euch nicht woanders hinziehen, damit wir freie Unterkunft haben. Ich finde, Sydney klingt ganz interessant.«
»Oder Miami«, sagte Dad, und dann stießen er und Mum mit den Hüften aneinander und sangen: »Welcome to Miami!«
»Wir verabschieden uns jetzt«, sagte Rachel kühl.
»Ah, ja, natürlich.« Ihre Gesichter waren rot von der Anstrengung, aber dann holten sie tief Luft und überschütteten uns mit Ratschlägen und guten Wünschen:»Anna, du wirst schon klarkommen, Süße.« »Du wirst es verwinden.« »Lass Gras drüber wachsen.« »Du kannst jederzeit wieder zurückkommen.« »Rachel, pass ein bisschen auf sie auf.«
Sogar Helen sagte: »Ich wünschte, ihr würdet nicht abfahren. Verliert da bloß nicht den Verstand.«
»Schreib mir«, sagte ich. »Halt mich auf dem Laufenden mit deinem Drehbuch und erzähl mir lustige Sachen über deinen Job.«
»Okay.«
Aber das wirklich Seltsame war, dass trotz all ihrer guten Wünsche und dem ganzen Händedrücken und den ermutigenden Worten niemand nur ein einziges Mal Aidan erwähnte.
FÜNFZEHN
Nachdem Jacqui beschlossen hatte, dass Aidan nur schwer an die Leine zu legen sei, sagte sie zu ihm: »Du hast bestanden. Wir mögen dich. Du kannst mit uns ausgehen, wann immer du magst.«
»Eh, danke.«
»Zum Beispiel morgen, da hat Nells seltsame Freundin Geburtstag. Im Outhouse in der Mulberry Street. Komm doch auch.«
»Eh, okay.« Er sah mich an. »Okay?«
»Okay.«
Die Verliebtheit zwischen Jacqui und Aidan setzte sich auch am nächsten Abend fort, als Jacqui in der zum Bersten gefüllten Bar auf einen Adonis aufmerksam machte, der an der Wand lehnte. »Guckt doch mal,
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