Erdbeermond: Roman (German Edition)
den Druckausgleich nicht machen. Tut mir Leid, Mann, du kannst nicht mit runter.«
Aidan war so enttäuscht, dass ich beschloss, auch nicht zu tauchen. »Ich würde lieber wieder in unsere Cabana gehen und mit dir schlafen. Das haben wir jetzt eine gute Stunde nicht getan.«
»Wie wär’s, wenn du den Tauchgang mitmachst und dann zur Cabana kommst, um mit mir zu schlafen? Mach schon, Anna, du hast dich so darauf gefreut, und wenn du zurückkommst, kannst du mir alles genau erzählen.«
Weil Aidan nicht mitkam, musste ich mir einen anderen »Partner« nehmen – dabei ist mir kaum etwas so sehr zuwider wie das Wort »Partner«.
Ich wurde einem Typen zugeteilt, der am Strand Nie mehr abhängig in der Partnerschaft gelesen hatte. Er war allein angereist und bei fast jedem Tauchgang mit dem Kursleiter zusammengespannt worden. Man rief uns letzte Anweisungen zu, als wir ins Wasser sprangen, dann tauchten wir in die stille andere Welt ein. Mr. Abhängig wollte meine Hand nicht halten, aber das war mir recht, denn ich wollte seine auch nicht halten. Wir waren schon mehrere Minuten auf dem Meeresboden – man verliert schnell das Zeitgefühl da unten – und schwammen umher, als mir auffiel, dass seit zwei Atemzügen keine Luft mehr aus meinem Sauerstoffgerät gekommen war. Ich saugte wieder an dem Mundstück, aber es kam wirklich nichts raus. Ich war überrascht, so wie ich überrascht bin, wenn eine Dose Haarspray leer ist – ich glaube jedes Mal, dass der Zeitpunkt nie kommt. Ich drücke immer wieder auf den Spraykopf und denke, sie kann doch nicht leer sein, aber sie ist leer, und mir wird klar, dass ich mit der Rumdrückerei aufhören sollte, bevor das Ding explodiert.
Auf meiner Anzeige stand, dass mein Sauerstoffvorrat noch für fünfundzwanzig Minuten reichte, aber es kam nichts raus. Ich versuchte es mit meinem Ersatzschlauch und spürte einen Anflug von Angst, als da auch nichts rauskam.
Ich hielt Mr. Abhängig an und machte das Zeichen für Keine Luft. (Eine Schneidebewegung am Hals, wie sie es bei der Mafia machen, wenn davon die Rede ist, dass man sich um jemanden kümmern wird.) Erst als ich nach seinem Ersatzschlauch greifen wollte, um tief einzuatmen, fiel mir auf, dass er keinen hatte! Keinen Ersatz-Sauerstoff! Arschgeige! Trotz meines Schreckens verstand ich, warum er das gemacht hatte: Er wollte demonstrieren, dass er nicht abhängig war. Das hörte sich bei ihm wahrscheinlich so an: Ich stehe allein, ich bin von niemandem abhängig, niemand ist von mir abhängig.
Nun, das tat mir Leid, denn da er seinen Ersatzvorrat nicht dabei hatte, musste er mir Luft aus seinem Mundstück geben. Ich zeigte drauf und gab ihm zu verstehen: Her damit, doch als er es aus dem Mund nahm, geriet er in Panik. Ich konnte es auf seinem Gesicht hinter der Maske sehen. Es war wie Bilbo Beutlin, der den Ring an Master Frodo weitergeben musste. Er wusste, dass es unabwendbar war, aber er konnte sich nicht dazu durchringen.
Mr. Abhängig hatte wahnsinnige Angst, auch nur für ein paar Sekunden ohne Sauerstoff zu sein. Die eine Hand schützend über sein Mundstück gelegt, signalisierte er mit der anderen: Steig auf. Ich sah entsetzt, dass er davonschwamm, die Hand immer noch über dem Mundstück.
Die anderen waren uns voraus, ich sah sie in der Ferne. Es war niemand da, der mir helfen konnte. Das passiert nicht wirklich, lieber Gott, mach, dass dies nicht passiert .
Ich war fünfzehn Meter unter der Oberfläche und bekam keine Luft. Ich spürte das ganze Gewicht des Wassers über mir. Bis zu dem Moment hatte es mich getragen, aber jetzt könnte es mich umbringen. Der Schrecken war so groß, dass es sich wie im Traum anfühlte. Nach oben, dachte ich. Ich muss nach oben. Ich starrte hoch, alles schien sehr weit weg.
Mit den Beinen strampelnd schwamm ich aufwärts, meine Lungen waren dem Platzen nah. Ich beeilte mich, nach oben zu kommen, höher, höher, und brach alle Regeln. Ich dachte: Ich sterbe, und ich bin selbst schuld, weil ich einen spottbilligen Tauchkurs gemacht habe. Eigentlich hätte ich nach fünf Metern zwei Minuten lang auf den Druckausgleich warten müssen, aber ich hatte keine zwei Minuten. Ich hatte nicht einmal zwei Sekunden .
Ich strampelte an einem überrascht wirkenden Schwarm von Clownfischen vorbei und betete, dass ich die Oberfläche erreichen würde. Das Blut rauschte mir in den Ohren, Bilder rasten mir durch den Kopf. Plötzlich wurde mir bewusst, was das war – mein Leben zog an mir vorbei.
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