Erdbeermond: Roman (German Edition)
ihn mir nicht ein. Er war wirklich, die Luft war schwer und dumpfig davon.
Nachdem ich die Scherben aufgefegt hatte, wollte ich nicht mehr schlafen und schaltete den Fernseher ein. Ich hatte alle verrückten Programme durchgezappt, bis ich eine Episode von Knight Rider fand, die ich noch nicht kannte. Irgendwann sank ich in einen Halbschlaf und träumte, ich wäre wach und Aidan machte die Tür auf und käme herein.
»Aidan, du bist wieder da, ich wusste es doch!«
»Ich kann nicht lange bleiben, Baby«, sagte er, »aber ich muss dir etwas Wichtiges sagen.«
»Ich weiß. Sag es mir, ich kann es ertragen.«
»Bezahl die Miete, sie ist überfällig.«
»Ist das alles?«
»Das ist alles.«
»Aber ich dachte …«
»Die Mietforderung ist im Schrank, bei der anderen Post. Es tut mir Leid, ich weiß, dass du sie nicht aufmachen willst, aber such doch den Brief heraus. Nicht dass dir die Wohnung gekündigt wird. Sei ein Held, Baby.«
VIERUNDZWANZIG
»Anna, wo bist du?« Rachel war am Apparat.
»Im Büro.«
»Es ist Freitagabend, zehn nach acht! Das ist deine erste Woche im Büro, du solltest es langsam angehen lassen.«
»Ich weiß, aber es gibt so viel zu tun, und ich brauche ewig für alles.«
Dass ich den größten Teil der Nacht wachgeblieben war und Knight Rider geguckt hatte, statt zu schlafen, hatte nicht gerade geholfen. Ich war den ganzen Tag daneben – erschöpft, schwer von Begriff –, Lauryn überhäufte mich mit Arbeit, Franklin setzte mir zu, ich solle mir die Haare schneiden lassen, und was meine Gemütslage noch schlimmer machte, war eine kleine, entschlossene Gruppe von EarthSource-Mädels, die fest überzeugt waren, dass ich Alkoholikerin war.
Eine von ihnen – Koo? Aroon? Irgendein dummer erdiger Name – kam am Freitagmorgen zu meinem Schreibtisch und lud mich zu einem Lunch-Treffen ein – einem Treffen der AA – zusammen mit den anderen »ehemaligen Süchtigen von McArthur«.
Meine Stimmung sank ins Bodenlose. Es war so trostlos! »Danke«, sagte ich. »Das ist sehr nett …« Ich wollte ihren Namen sagen, wusste ihn aber nicht genau und brachte stattdessen murmelnd einen Allzweckklang hervor. »Aber ich bin keine Alkoholikerin.«
»Du leugnest es immer noch?« Sie schüttelte traurig den Kopf mit den in der Mitte gescheitelten, glatten Haaren. »Gib es endlich zu, damit du es besiegen kannst, Anna, nur so kannst du es besiegen.«
»Ist gut.« Es war einfacher, zuzustimmen.
»Es funktioniert, wenn du dran arbeitest, also arbeite dran, du hast es verdient. Wenn du trinken willst, dann ist das deine Sache, aber wenn du aufhören willst, ist es unsere.«
»Danke. Du bist sehr freundlich.« Und jetzt schieb bitte ab, bevor Lauryn rüberkommt.
Rachel sagte: »Die Echten Männer kommen heute vorbei, zum Scrabblespielen. Es ist für dich vielleicht eine ganz gute Gelegenheit, wieder unter Leute zu kommen. Meinst du, du hättest Lust?«
Ob ich Lust hätte? Ich wollte nicht allein sein. Allerdings wollte ich auch nicht unbedingt mit anderen Leuten zusammen sein. Das klang widersprüchlich, ergab aber durchaus einen Sinn: Ich wollte nur mit Aidan zusammen sein.
In den vier Tagen seit meiner Rückkehr nach New York hatte ich so viele Einladungen wie noch nie bekommen. Alle waren wunderbar, aber ich konnte nur Jacqui ertragen und Rachel (die ja mit Luke im Doppelpack kam). Außerdem gab es noch viele andere, die ich anrufen musste: Leon und Dana, Ornesto, unser Jolly Boy von oben, Aidans Mutter Dianne. Aber immer eins nach dem anderen …
Ich schaltete meinen Computer aus und sprang an der 58sten Straße in ein Taxi – es war nicht mehr ganz so schwer, Taxi zu fahren. Auf dem Weg rief ich Jacqui an und lud sie auch ein.
»Scrabble mit den Echten Männern? Lieber würde ich mich selbst in Brand stecken, aber vielen Dank für die Einladung.«
Außer für Luke hatte Jacqui nichts für die Echten Männer übrig.
Luke machte die Tür auf. Obwohl seine Rockerfrisur viel kürzer war als zu der Zeit, als er Rachel kennen lernte, waren seine Jeans immer noch eine Idee zu eng. Mein Blick wurde jedes Mal unaufhaltsam zu seinem Schritt gezogen. Ich konnte es nicht verhindern. Es war so ähnlich wie bei mir, wenn die Leute statt mit mir mit meiner Narbe sprachen.
»Komm doch rein«, forderte er meine Narbe auf. »Rachel ist gerade unter der Dusche.«
»Gut«, sagte ich zu seinem Schritt.
Rachels und Lukes Wohnung hatte Mietpreisbindung und lag im East Village. Für New Yorker Verhältnisse
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