Erdbeermond: Roman (German Edition)
Ornesto, unser Nachbar von oben, der in einem knallroten Zuhälteranzug auf mich zukam. Mist . Als er bei mir war, sagte er vorwurfsvoll: »Ich habe dauernd bei dir angerufen. Ich habe dir, locker, acht Billiarden Nachrichten auf Band gesprochen.«
»Ich weiß, Ornesto, es tut mir Leid, aber ich fühle mich im…«
»Maa-annn! Jetzt guck dir bloß das Gesicht an! Mann-oo, Schnuckiherz, das ist ja schlimm !« Er fuhr praktisch mit der Nase an meiner Narbe entlang, als wollte er eine Linie Koks aufschnüffeln, und zog mich dann in einer schmerzhaften Umarmung an sich. Zum Glück beschäftigt Ornesto sich am liebsten mit sich selbst, deshalb fing er schnell wieder von sich an.
»Ich bin nur für eine New Yorker Minute hier, dann ziehe ich wieder los und suche mir ein paar …« – er wartete einen Moment und schrie dann – »… SCHARFE MÄNNER. Komm und unterhalte mich, während ich mir meine Partyklamotten anziehe.«
»Ist gut.«
In Ornestos thaimäßig eingerichteter Wohnung hing neben einem goldenen Buddha ein Foto an der Wand, das mit einem Messer befestigt war. Das Foto zeigte ein Männergesicht, und das Messer steckte geradewegs in dem lachenden Mund.
Ornesto bemerkte meinen Blick. »Ojemine, das hast du gar nicht mitgekriegt. Er heißt Bradley, ich dachte, das ist jetzt der Richtige, aber du ahnst ja nicht, was dieser Mann mit mir gemacht hat.«
Ornesto hatte dauernd Pech mit Männern. Sie betrogen ihn, oder sie stahlen ihm seine teuren, dickbödigen Kochtöpfe, oder sie gingen wieder zu ihren Ehefrauen zurück. Was war diesmal geschehen?
»Er hat mich verprügelt.«
»Wirklich?«
»Siehst du nicht, mein blaues Auge?«
Er zeigte es mir stolz. Ich sah zwar nur einen kleinen blauen Fleck neben seiner Augenbraue, aber er war so voller Überschwang, dass ich die Luft mitleidsvoll einsog. »Das ist ja schrecklich.«
»Aber die gute Nachricht ist, dass ich jetzt Gesangsunterricht nehme! Mein Therapeut sagt, ich brauche eine kreative Betätigung.«
Ornesto war – was man vielleicht nicht erwarten würde – Arzthelfer in einer Tierarztpraxis. »Mein Gesangslehrer findet, ich habe echt Talent. Er sagt, er hat noch keinen Schüler gehabt, der die Atemtechnik so schnell gelernt hat.«
»Wunderbar«, erwiderte ich eher unbestimmt. Es war zwecklos, zu interessiert zu reagieren, denn Ornesto war am Anfang immer Feuer und Flamme. Doch nächste Woche würde er sich wahrscheinlich mit seinem Gesangslehrer streiten und vom Singen nichts mehr wissen wollen.
Ich sah mich um, ich roch da etwas … Dann sah ich es auf seinem Tisch. Ein großer Strauß Blumen. Lilien.
»Du hast ja Lilien!«, sagte ich.
»Ja, man soll sich ja ab und zu was gönnen. Es gibt noch so viele Typen, die mich schlecht behandeln werden. Die Einzigen, auf die ich mich verlassen kann, sind ich, meiner, mir und mich.«
»Wann hast du sie gekauft?«
Er dachte nach. »Gerade gestern. Stimmt was nicht?«
»Doch. Nein.« Aber ich überlegte, ob es Ornestos Lilien waren, die ich gestern gerochen hatte. Der Duft hätte durch den Luftschacht zu mir in die Wohnung kommen können. War es so gewesen? Hatte es gar nichts mit Aidan zu tun?
FÜNFUNDZWANZIG
Ich hatte immer von einer Hochzeit in Weiß geträumt. Einer von diesen Träumen, bei denen man plötzlich mitten in der Nacht schweißüberströmt und mit wild klopfendem Herzen aufwacht. Die schlimmste Sorte von Alptraum.
Ich sah es alles vor mir. Monatelange Rangeleien mit meiner Mutter wegen Brokkoli. Am Tag selbst ein heftiger Kampf mit meinen Schwestern – sie sind alle Brautjungfern –, um an den Spiegel herankommen und sich schminken zu können. Ein Streit mit Helen, der ich mein Kleid wieder abringen muss. Dann Dad, der auf dem Weg zum Altar vor sich hin murmelt: »In dieser Weste komme ich mir vor wie ein kompletter Idiot.« Und als er mich dem Bräutigam übergibt: »Hier, nimm sie, du kannst sie gern haben.«
Aber es ist erstaunlich, wie eine Nahtoderfahrung die Dinge zurechtrücken kann.
Nachdem ich mich von meinem Tauchabenteuer erholt hatte – ich musste eine Weile in einer Dekompressionszelle verbringen und mir dann ziemlich lange die Entschuldigungen von Mr. Abhängig anhören, der durch den Vorfall weit zurückgeworfen wurde, denn selten hatte ich einen so bedürftigen Menschen gesehen –, rief ich meine Mutter an und dankte ihr, dass sie mich zur Welt gebracht hatte, worauf sie sagte: »Was sollte ich anderes tun? Du warst schon drin, irgendwie musstest du ja raus.«
Dann
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