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Erde

Erde

Titel: Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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kulinarische Tradition aufrecht zu halten gestatteten, lange nachdem die Fischerei an der Golfküste aufgehört hatte.
    In der Entfernung erkannte sie eine gerade, von Bäumen gesäumte Erhebung, die sich von Nord nach Süd hinzog – die Aufschüttung zum Schutze des East-Atchafalaya-Beckens, eines so vieler Erdwerke, welche das Ingenieurcorps des Heeres im Laufe von mehr als einem Jahrhundert aufgeworfen hatte, um das Zusammentreffen zweier großer Wassermassen zu verhindern. Endlose Meilen von Deichen und Kanälen und monumentalen Überlaufrinnen zogen sich längs des Mississippi, des Golfs und fast jeden Wasserlaufs hin, der in den computerisierten Eventualplänen des Corps vorgesehen war. Claire hatte zusammen mit ihrem Vater und später selbständig fast jedes Meter des ausgedehnten Projekts abgeschritten. Von Logan hatte sie eine Faszination für Wasseringenieurwesen und eine beharrliche Verachtung jener Art technischer Anmaßung geerbt, die Wörter aussprach wie ›für immer‹.
    »Idioten!« knurrte sie. Jetzt legte das Corps dem Kongreß einen neuen Plan vor, der ›garantierte‹, den Mississippi daran zu hindern, was er schließlich doch unbedingt würde tun müssen – seine Ufer verlagern und einen neuen Weg ins Meer finden. Logans private Schätzungen sahen vor, daß die neuen Aufschüttungen den Old Man River noch höchstens weitere drei Dekaden vom Atchafalaya-Tal fernhalten würden. Claire hielt ihren Vater für einen Optimisten. »Noch maximal zehn Jahre«, sagte sie leise.
    Sie würde dieses Land vermissen, wenn es ganz verschwände… sein Netz kleiner Bayous und Flüsse. Die totenstille feuchte Luft, schwer von scharfem Cajun, der richtig biß, wenn man ihn in den Mund nahm. Und die alten Opas und Omas, die auf ihren Bänken saßen und sich Lügen erzählten von jenen Tagen, da es in diesen Gebieten nach Flecke von Mangrovenwald gab, voller Antilopen, Alligatoren und sogar Biestern, die die Wissenschaft nie verzeichnet hatte.
    Claire kniff die Augen zu und sah, wie eben diese Ebene unter Hektar über Hektar schäumenden braunen Wassers lag einem mächtigen Strom, der den Schlamm eines Kontinents auf dieser Abkürzung zum Meer schaffte – zusammen mit jeder Farm und jedem Haus und jeder lebenden Seele auf seinem Wege.
    Aber Daisy wird nicht ausziehen. Zum Teufel, niemand hört auf mich, und ich bin es satt, von allen meinen Freunden ›Kassandra‹ genannt zu werden.
    Nach einigen Monaten wäre sie sowieso von hier weggegangen. Vielleicht würden die Leute besser achtgeben, wenn sie anderswo einen Ruf gewonnen hätte. Nachdem sie sich selbständig einen Namen gemacht hatte.
    »Hier, gib mir das Ende!«
    Sie fuhr zusammen, als Tony sie vom Betonufer aus auf die Schulter klopfte. Sie strengte sich an und zog die Leine näher. Sie mußten alle beide sich bemühen, sie straff zu ziehen und festzubinden.
    »Danke, Claire!« sagte Tony. »Hier, laß mich dir heraushelfen!«
    Zu ihrer Verwunderung wartete er nicht ab, bis sie zur Leiter hinübergeplanscht war. Er packte ihre Schulterträger und zog sie mit reiner Kraft auf die Böschung. Sie saß tropfend da, während er ihre Wasserstiefel mit dem Schlauch abspülte und grinste.
    Angeberei, dachte sie. Aber sie konnte nicht umhin, beeindruckt zu sein. Mit siebzehn war Tony in vollem Wachstum, veränderte sich jeden Tag und war darauf stolz. Sie entsann sich, wie er sie erst vor kurzer Zeit an Höhe übertroffen hatte, und sie eine flüchtige irrationale Welle von Neid gegenüber dem Freund ihrer Kindheit empfand. Selbst in einer Welt, in der durch die Technik die Frauen gleichgestellt waren, gab es Zeiten, wo reine Größe und Kraft noch ihre Vorteile hatten.
    Auch Testosteron hat seine Nachteile. Claire erinnerte sich daran, als sie ihren Gummi-Overall zum Trocknen aufhängte. Ihre Fernschule in Oregon führte auch einen Lehrgang über die vielen Gründe, weshalb Frauen sich glücklich preisen könnten, doch nicht männlich zu sein. Aber später war sie überrascht gewesen, Tony dabei zu erwischen, wie er sie mit scheuer Bewunderung ansah. Die Überraschung währte nur so lange, bis sie begriff.
    Oh, es ist Sex!
    Oder auch eigentlich etwas Hübscheres, aber nahe verwandt. Jedenfalls, was immer es war, Claire war noch nicht bereit, sich schon jetzt damit zu beschäftigen. Seit der Pubertät hatte sie Mädchen ihres eigenen Alters gemieden wegen ihrer altklugen, einseitig beschränkten Interessen. Jungen mit vierzehn und fünfzehn schienen mehr daran

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