Erde
Daher leisteten für jeden Dollar, den Eltern für solche Wegwerfprodukte ausgaben, andere Steuerzahler mehr als zehn Cents verdeckte Beihilfe.
Darin waren natürlich nicht enthalten die Kosten der Rota-Epidemie von New Jersey. Oder die landesweiten Hepatitisseuchen von ’99.
Aber was konnte man tun? Für fleißige junge Familien, die zwei Verdiener brauchten, nur um zurechtzukommen, war Annehmlichkeit ein fast unbezahlbares Gut. Es könnte den Unterschied ausmachen zwischen dem Entschluß für ein Kind oder völligen Verzicht darauf.
Mit den Kosten für Verpackung und Entsorgung hätten altmodische Windeln mithalten können. Aber das, und andere das Budget kneifende Maßnahmen wurden dann doch für eine andere Generation aufgeschoben… für ein anderes, härteres Jahrhundert.
So waren nun eben die ausklingenden Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Und nichts war zu gut für Baby.
Jedenfalls, wenn die Rechnung erst nach zwanzig Jahren präsentiert werden würde – desto besser! Baby würde ein Wunderkind werden, aufgezogen mit Tofu und Computern und qualifizierter Zeit. Also könnte Baby für alles bezahlen.
• HOLOSPHÄRE •
Jen Wolling vermißte ihren Briefträger.
Wer hätte damals, als sie noch eine feurige Blondine war, die die Biologie der Jahrhundertwende verschlang, so etwas gedacht? Selbst damals hatte sie von der Zukunft Überraschungen erwartet; aber diejenigen Veränderungen, die sie am meisten erstaunten, erwiesen sich nicht als die großen – solche Meilensteine, die von Mediengurus atemlos notiert wurden –, sondern kleine Dinge, allmähliche Verschiebungen, welche die Leute einfach deshalb übersahen, weil sie Stück um Stück, Tag für Tag an einen heranschlichen.
So wie das gleichmäßige Verschwinden von Briefträgern. Inmitten der wachsenden weltweiten Datenkultur hatten nur wenige diese Konsequenz vorausgesehen – ein Ende jener einzelnen Schritte auf dem Weg, des Knarrens der Briefkästen, der freundlichen Begrüßung, des Rascheins von Papierumschlägen.
Ohne viel Trara kam die zweimal tägliche Zustellung in Britannien jeden zweiten Tag und dann nur einmal wöchentlich. Briefe austragen wurde ›dereguliert‹ – privaten Diensten übertragen, die jede Minute in Rechnung stellten und für die unterschriftliche Empfangsbestätigung eines einzigen Umschlags eine Produktionsnummer ansetzten.
Was Jen am meisten vermißte, war die routinemäßige Alltäglichkeit der Postzeit. Sie pflegte als willkommene Unterbrechung zu kommen, als Vorwand, sich von den flachen, gedrängt vollen und die Augen ermüdenden Computerschirmen jener Tage loszureißen und ihren knackenden Rücken auszustrecken, wenn sie hinüberstolperte, um das tägliche Angebot an bunten Umschlägen aufzuheben.
Natürlich war das meiste davon wertloses Zeug. Wie lautete doch Sturgeons Erstes Gesetz? Neunzig Prozent von allem ist Mist.
Aber… ah… die restlichen zehn Prozent!
Da waren Briefe von lieben Freunden (die inmitten einer monatelangen Schichtarbeit über abstrakte Theorie oft dazu dienten, sie daran zu erinnern, daß sie überhaupt Freunde hatte). Und dann gab es wissenschaftliche Zeitschriften durchzublättern, die Ränder zu bekritzeln und sie in der Ecke aufzustapeln wie geologische Sedimente…
Und schöne Magazine auf wirklichem Papier – Natural History und National Geographic und Country Life – deren Hochglanzseiten etwas vermittelten, das moderne Hyperversionen nicht vermochten, trotz High-Fidelity-Sound und Stereoprojektion.
In jenen Tagen mußten regelmäßig Bäume für menschliche Bildung sterben. Das war ein Opfer, welches sogar Jen nicht bedauerte. Weder damals noch heute, wenn sie die Vorhänge aufzog, um Morgenlicht auf Bücherregale fallen zu lassen, die hoch gefüllt waren mit auf Hadernpapier gedruckten Büchern, von denen manche sogar in glänzendes Leder gebunden waren, das früher die Rücken stolzer Tiere geziert hatte.
Diese Bibliothek würde von Sammlern ein kleines Vermögen einbringen – und eine scharfe Mißbilligung seitens der Vegetarier. Aber einer der Vorteile im elektronischen Zeitalter war, daß man ein Universum von Kontakten pflegen konnte, während man alle spähenden Augen seinem Heim, seinem Schloß, fernhielt.
Es hat auch Nachteile, dachte sie, als sie die Liste von Bulletins durchging, die sie an diesem Morgen erwarteten. Ihr Autosekretär zeigte eine Kolumne erschreckender Figuren. Seinerzeit, als Kommunikation noch eine lästige Arbeit war, wäre
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