Erde
so ungereimt, daß Teresa beinahe laut losgelacht hätte. Aber der Blick in seine Augen ließ sie innehalten. Das waren nicht die Augen eines Schwätzers.
Er weiß etwas, erkannte sie. Und dann: Er weiß etwas über Erewhon!
Manella gab zu verstehen, daß ihr Telephon angezapft sein könnte. Ferner machte er deutlich Andeutungen über das Niveau der Überwachung. Geschulte Sicherheitsagenten würden seinen Trick mit der Zeichensprache lächerlich durchsichtig finden. Aber die Scharade würde wahrscheinlich die meisten auf Text ansprechenden Geräte täuschen oder Agenturleute, die man eingezogen hatte, um die vermutlich langweiligen Unterhaltungen einer Raumbusfahrerin wie sie selbst abzuhören. Sie würde auch jedem zufälligen mithörenden Hacker des Netzes entgehen.
»All right.« Sie schwenkte die Hand, um ihn mitten im Satz zu unterbrechen. »Mr. Manella, ich habe genug gehört und bin nicht interessiert. Sie werden durch Kanäle gehen müssen wie jeder andere. Jetzt leben Sie wohl!«
Der Schirm wurde leer, als er gerade wohl widersprechen wollte. Aber auch er war ein guter Schauspieler. Denn nur in seinen braunen Augen sah sie die Bestätigung ihrer eigenen Handzeichen. Zeichen, mit denen sie geantwortet hatte: VIELLEICHT… ICH WERDE BALD ANTWORTEN…
Sie würde darüber nachdenken. Aber warum bildet Manella sich ein, daß ich an erster Stelle überwacht werde? Und was ist es, das er mir mitteilen will?
Es mußte um Erewhon gehen… um das Unglück. Ihr Puls beschleunigte sich.
Jetzt hatte sie wirklich genug von dieser emotionalen Rebellion ihres Körpers. Sie setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Teppich, schloß die Augen und suchte die Auslöser für Beruhigung, die man sie in der Hochschule gelehrt hatte – kühle Tücher über ihre Gedanken legen, Biofeedback benutzen, um die Spannung abzubauen. Was immer auch geschah, was immer Manella auch zu sagen haben mochte, es würde nichts Gutes kommen, wenn sie sich durch alte Reaktionen von Flucht und Kampf davontragen ließe. Höhlenmenschen mochten nicht viel Anwendung für Geduld gehabt haben, aber in der Welt ihrer Nachkommen war es ein reines Überlebensmerkmal.
Sie holte tief Atem und wandte sich von den Lasten des Bewußtseins ab. Vivaldi vereinte sich mit den zirpenden Drosseln zu einem unbemerkten Hintergrund, als sie das Zentrum suchte, in dem sie immer wußte, wann und wo sie war.
Aber diesmal konnte sie nicht ganz sicher sein, daß es – das Zentrum – überhaupt da war.
¤
Nachdem es ihm gelungen war, Himmelsvater von Erdenmutter zu trennen und ihrer Nachkommenschaft endlich Raum zum Stehen und Atmen zu geben, schaute sich Tane, der Waldgott, um und sah, daß noch etwas fehlte. Nur Kreaturen von ira atua – dem Geistesweg – bewegten sich auf dem Land. Aber was konnten Geistwesen je sein ohne ira tangata, sterbliche Wesen, um sie zu erkennen? Nichts.
Daher versuchte Tane, sterbliche Wesen in die Welt zu bringen. Aber von all den weiblichen Geistern, mit denen er sich paarte, besaß nur eine ira tangata. Sie war Hine-titama, Jungfrau der Morgendämmerung. Als Tochter und Weib von Tane wurde sie die Mutter aller sterblichen Wesen.
Später, nachdem die Welt Leben empfangen hatte, wandte Hine-titama sich von der Oberfläche ab und reiste tief hinab in die Reiche der Tiefe. Dort wurde sie Hine-nui-te-po, die große Herrin der Dunkelheit, die wartet, um die Toten zu betreuen und zu trösten nach ihrer Reise Whanui a Tane hinab, die breite Straße.
Dort wartet sie auf mich, und auf dich auch. Als unsere erste sterbliche Ahne schläft sie unten und wartet auf uns alle.
• KERN •
Auf seinem Wege zurück nach Auckland, nach zwei Tagen bei den geothermischen Werken von Taravera, saß Alex im Touristenverkehr auf Rotorua fest. Busse und Kleinlaster fädelten sich durch die schmalen Wege des Freizeitortes. Sie beförderten australische Familien in die Ferien, ferner singhalesische Flitterwöchnerpaare, ernst blickende Inuit-Investoren und Han – die unvermeidliche Flut schwarzhaariger Chinesen –, die sich stoßend und plappernd in dicht gedrängten Scharen die Gehwege und Rasenflächen überfluteten und alles einwickelten, das irgendwie ausgefallen oder ›einheimisch‹ sein könnte.
Die meisten Läden trugen Schilder in Internationalem Idiogrammatischen Chinesisch wie auch in Englisch, Maori und Simglish. Warum auch nicht? Die Han waren bloß die letzte Welle Neuen Mittelstandes, die plötzlich den Tourismus entdeckt
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