Erde
Fenster und ließ die lautlosen, schweren und süßen Gerüche des texanischen Frühlings ein. Selbst Verkehrslärm war der Stille vorzuziehen.
Die NASA hatte ihr wichtige Mitteilungen zukommen lassen und Sekretäre zur Bearbeitung von Fanpost und Rechnungen gestellt. Damit war sie sogar des Trostes emsiger Arbeit während dieser ungemütlichen ersten Stunden beraubt. Ihr Autosec ließ die Reihe ihres Programms von Zeitungsausschnitten aufleuchten… ein Rückstand von fünfzehntausend Schlagzeilen aus Nachrichtendiensten und Netzmagazinen aus jeder Zeitzone. Sie strich alles, was mit dem Unglück zu tun hatte, und die Anzahl fiel unter hundert. Die könnte sie später durchsehen, um über das, was in der Welt geschah, aufs laufende zu kommen.
Teresa ging von einem Raum in den anderen. Sie vermied nicht gerade, an Jason zu denken, ging aber auch nicht gleich zum Fotoalbum, das zwischen den Bänden der Enzyklopädie und der Sammlung seltener Comicbücher ihres Mannes im Regal stand. Sie brauchte keine Fotos oder Holo-Seiten, um Momente ihrer Ehe noch einmal lebendig werden zu lassen. Die waren alle in ihrem Kopf – die guten und die weniger guten – jederzeit abrufbar.
Allzu bereit…
Sie schob zwei Stunden Vivaldi in das Abspielgerät und ging mit einem Glas Orangensaft auf die Terrasse. (Jemand hatte ihre Akte gelesen und zwei Liter des echten, frisch aus Oregon-Orangen gepreßten Saftes in ihrem Kühlschank deponiert.)
Durch den polarisierten UV-Schirm blickte Teresa hinaus auf die schwankenden Ulmen, die einige Blocks niedriger Apartmenthäuser abschirmten und abrupt an den weißen Deichen endeten, die die NASA gegen den ansteigenden Golf von Mexiko hatte errichten lassen. Die Schienen einer neuen Rapitranslinie verliefen auf dem Damm. Züge schwebten auf leise summenden supraleitenden Gleisen vorbei.
Eine Drossel landete auf dem Balkon und zirpte ihr zu. Das bewirkte ein leichtes Lächeln. Als sie klein war, waren in ganz Nordamerika Drosseln durch die Konkurrenz von Staren und anderen Eindringlingen bedroht gewesen, die durch frühere sorglose Generationen von Menschen auf den Kontinent gebracht worden waren. Besorgte Schützer der heimischen Fauna hatten Tausende von Zufluchtsplätzen geschaffen, um ihnen beim Überleben zu helfen; aber es war immer noch eine prekäre Situation gewesen.
Aber jetzt kamen, wie die Ulmen, auch die Drosseln wieder hoch. Genau so, wie niemand hatte voraussagen können, welche Pflanzen oder Tiere am meisten durch Ozonmangel und trockeneres Klima leiden würden, so hatte sich wohl auch niemand vorgestellt, daß einige sogar davon profitieren könnten. Aber offenbar war es in einigen Fällen so. Aus früherer Zeit erinnerte sich Teresa an einen schrecklichen Herbst, als sie und Jason fast täglich, wenn sie nach Hause kamen, leidende Kreaturen auf dem Rasen sterbend gefunden hatten. Oder noch schlimmer, solche, die in Panik umherflatterten, weil sie erblindet waren.
Blinde Rotkehlchen. Es war eine Schwelle erreicht, und binnen Wochen waren alle tot. Seit damals fragte Teresa sich bisweilen, ob die Ausrottung allumfassend gewesen wäre. Oder war das Sterben nur eine lokale ›Anpassung‹, beschränkt auf Südtexas? Ein paar Worte an ihren Autosekretär würden ein Suchprogramm starten, um in Millisekunden die Wahrheit zu erfahren. Aber wozu war es schließlich gut, das zu wissen? Das Netz war ein so weites Meer an Information, daß man, wenn man daran nippte, manchmal ein Gefühl hatte, als ob man seinen Durst aus einem Feuerwehrschlauch stillen wollte.
Außerdem fand sie das Netz oft langweilig. Manche Leute hielten es für eine große Seifenschachtel, aus der man Rezepte für die Rettung des Planeten erbitten könnte.
Lösungen. Alle hatten Lösungen.
Eine Gruppe wollte das ganze Raumfahrtprogramm für eine Anstrengung heranziehen, Ozongeneratoren in der Stratosphäre aufzuhängen. Eine absurde Idee. Aber zumindest war sie kühn und positiv, anders als das Universalheilmittel, das jene verhießen, die zur gänzlichen Aufgabe der Technik aufriefen und einer Rückkehr zu ›einfacheren Wegen‹. Als ob einfachere Wege zehn Milliarden Menschen ernähren könnten!
Als ob einfachere Wege nicht auch Schaden angerichtet hätten. Astronauten hatten wenige Illusionen über den sogenannten ›sanften pastoralen Lebensstil‹, nachdem sie aus dem Raum die von früheren Zivilisationen geschaffenen Wüsten gesehen hatten – von Sumerern, Chinesen, Berbern, Amerindern, die wenig
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