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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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Autoimmunerkrankung der Schilddrüse stehe. Ich darf schon lange kein jodiertes Speisesalz mehr zu mir nehmen. Na ja, zumindest nicht regelmäßig. Und Lunge … ich habe zwar nie selbst geraucht, aber immer in Großstädten gelebt, bin mit rauchender Verwandtschaft und in verqualmten Gaststätten groß geworden. Die Frauen in meiner Familie mütterlicherseits neigen zu den unterschiedlichsten Lungenproblemen. Ob Lisa davon verschont geblieben wäre? In Berlin? Wäre sie nicht gestorben, wären wir vielleicht noch dort. Sie wäre in dem Moloch groß geworden. Meine Großtante hatte Diabetes. Und ich eine unerklärliche erhöhte Blutsenkung. Na, zumindest weiß ich durch den Chromogranintest jetzt, woran es nicht liegen kann. Kein Mut zur Lücke ist manchmal auch ganz nett.
    Ich drifte ein wenig ab und surfe. Ist Beyoncé schwanger? – Japan geht unter. Nach Dreifach-Katastrophe aus Erdbeben, Tsunami und atomarem Super-GAU steht zu befürchten, dass die Insel Japan im Meer versinkt. – Justin Timberlake trifft sich mit … – Massenpsychose in den USA – Fukushima: Betreiber gibt keine Auskunft. – Neuseeland: das Paradies. – Esprit: 50% Rabatt – Köln Weidenpesch ist gegen alles.
    Ich mache den PC aus. Hat ja doch alles keinen Zweck. Ich überlege, ob es noch irgendwas im Haus zu tun gibt. Selbst in der Küche sind die Vorbereitungen für heute Abend abgeschlossen. Meine Mutter hat sich noch etwas hingelegt. Alles ist ruhig, nur in mir nicht. Meine Hand greift zum Lisa-Diamanten.
    Ich stehe auf, sortiere meine Wäsche auf dem Esstisch neu, poliere an Irmtrauts Glasheim herum, kaue testweise auf einem Nagel, was mir nicht gefällt, sehe noch mal nach, ob meine Mutter einen Arbeitszettel für mich hinterlassen hat, und fühle mich insgesamt nutzlos und überflüssig. Wenn ich nichts zu tun habe, bleibe ich offensichtlich auch noch völlig im bewussten Zustand. Wenn man mal ein Blackout gebrauchen könnte … Vielleicht sollte ich schlafen. Kann ich jetzt aber nicht. Ich komme mir vor wie eine Versuchsratte in einem langweiligen Labyrinth. Verloren stehe ich in der Wohnung, als ich plötzlich mit absoluter Gewissheit spüre, was ich zu tun habe. Wo ich hinmuss.
    Es fühlt sich an, als sei ich im Prinzip schon da und nur mein Körper warte immer noch in diesem Zimmer, während mein Geist schon vorgerannt ist und winkt wie ein ungeduldiges kleines Mädchen.
    Darauf hätte ich auch früher kommen können.
    »Irmtraut«, verkünde ich laut, »ich muss zum Dom!«

    Mein Blick ist auf die Steinplatten unter meinen Füßen gerichtet. Ich drehe mich in die richtige Richtung, halte meine Augen geschlossen und hebe den Kopf etwas an. Ich spüre den Wind und die Geräusche. Ich höre Autos und Stimmen in unterschiedlichen Sprachen. Füße auf Steinplatten. Schlurfende Schritte auf Stufen. So klingen sie nur am Dom. Noch vor ein paar Jahren hätte ich hier den Geruch frischer Reibekuchen in der Nase gehabt, aber die gelbe Rievkochebud wurde längst abgerissen, mitsamt dem hässlichen Treppengebilde, das den Bahnhofsvorplatz mit dem Dom auf dem Hügel verband. Ich weiß, dass dort nun eine große Freitreppe auf mich wartet, die ich noch nie gesehen habe. Ich hoffe sehr, dass sie besser zur altehrwürdigen Kathedrale passt.
    Ich öffne langsam die Augen. Ja, eine hübsche Freitreppe. Es sitzen viele Leute darauf. Wie im Sommer auf der Spanischen Treppe in Rom. Nur, so warm wie dort werden die Stufen nicht sein. Mein Blick wandert nach oben. Sandstein. Mir fällt auf, wie hell der Dom wirkt. Hat der saure Regen so sehr nachgelassen? Als Kind erstaunte es mich, dass das majestätische Gebäude angeblich auch von außen einmal nicht schwarz, sondern hellbeige gewesen sein sollte. Es erstaunte mich aber auch, als mir meine Mutter bei einem Spaziergang am Rhein erzählte, sie sei in ihrer Kindheit in ihm geschwommen. Ich sah nur eine dreckige Brühe und dachte, dass ich niemals freiwillig einen Zeh in dieses Wasser tunken würde. Auch das hat sich geändert.
    Mein Blick gleitet über die vier mächtigen Nordeingänge, eingerahmt durch einen Haupt- und zwei Nebenspitzbögen, die sich in der Tiefe verjüngen. Überall sind Türmchen und Streben, die den Blick magnetisch nach oben leiten. Über dem Hauptspitzbogen folgt ein weiterer, diesmal mit Fenstern und Fensterrosen.
    Irgendwo hibbelt es. Wie ein kleines, unscheinbares Erdbeben. Da, schon wieder. Ich höre es kichern. Ich sehe nach oben, kann aber nichts entdecken.

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