Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Karminrot, aber schmaler als bei Macke und ohne Troddel. Noch einer, diesmal in Indischgelb. Zwei sich unterhakende Mädchen in dunkelblauer Schuluniform schlendern auf mich zu. Auf Französisch frage ich sie nach dem Markt.
Ich stehe auf einem innenhofartigen Platz, der von Geschäften umschlossen wird. Mein Fotoapparat ist bereit. Vögel zwitschern. Die Luft wiegt sich unaufgeregt. Es ist leise. Ich stelle mir vor, wie laut es hier üblicherweise ist, und genieße das fahle Licht und die Stille. Geradeaus befindet sich im ersten Stock ein Teppichhandel. Die Steintreppe, die dort hinaufführt, ist vollständig mit Teppichen ausgelegt, als führte sie zu einem Harem aus alten Zeiten. Sogar die Geländer sind damit behängt sowie sämtliche Wände des Eingangs, so dass er kaum zu erkennen ist. Traditionelle Muster und Farben wechseln sich nur selten mit moderneren ab. Unterhalb der Treppe steht ein Händler mit Lederwaren. Ich rieche seine Artikel, bevor ich sie sehe. Der Geruch ist strenger, als er sein dürfte, und kommt wahrscheinlich aus der Spraydose. Geldbörsen, Gürtel und kleine Taschen. Das Leder ist oft geprägt und in allen möglichen Tönen eingefärbt. Ein paar der hochgeprägten Elemente sind bunt lackiert. Es sieht billig aus, und ich frage mich, ob sich für so etwas tatsächlich Abnehmer finden. Im Moment ist so wenig los, dass der Händler nicht einmal Lust hat, mich in eine Verhandlung um seine Waren zu locken.
Viele Geschäfte sind geschlossen. Blaue Gittertore vor weiß abblätternden Holztüren an den kleinen Läden zeigen, wie desolat die Lage im Tourismus zur Zeit ist. Zwischen den Toren steht ein kleiner runder Mann mit kurzem violetten Fez über einem Lachen aus braungebrannten Falten im Eingang seines Geschäftes. Er trägt nach oben gebogene Ledersandalen und eine Pluderhose wie aus Tausendundeiner Nacht. Dazu ein T-Shirt mit dem Schriftzug von Metallica. Sein Laden ist höchstens doppelt so breit wie er selbst. Große geflochtene Körbe mit bunten Gewürzen stehen davor. Ihr schwerer Duft mischt sich in der Luft. An den Längsseiten des schmalen Geschäfts stehen Regale, die mit vielen kleinen Kisten vollgestopft sind. Ich beobachte, wie der Mann von einer Touristin angesprochen wird. Er setzt sie auf einen Holzschemel, damit sie beide auf gleicher Höhe sind, gibt ihr ein fingerhutgroßes Glas mit heißem Pfefferminztee und hält ihr nach und nach alle möglichen Kistchen mit Gewürzen und Kräutern unter die Nase. Sie lässt sich ganz auf das Geschehen ein. Es wird viel gelacht. Dann beginnt der kleine Mann einzupacken. Die Frau zeigt mit ausgestrecktem Arm auf die Kisten und Körbe, aus denen sie etwas haben möchte. Er misst ab und verpackt alles sorgfältig in halbdurchsichtige Plastiktütchen. Der Händler nennt seine Preise. Jeden einzelnen und den Preis für alles zusammen. Ich kann es an den Gesten ablesen. Die Kundin wiegt ihren Kopf hin und her und hält die Hände schulterhoch mit locker geöffneten Händen. Er wiegt seinen ganzen Oberkörper und nennt einen neuen Preis. Sie hält die Hände enger und verschränkt dann die Arme. Er reißt seine in die Luft und dreht sich um die eigene Achse. Der Stummfilm geht weiter. Die Frau hebt das Kinn und schüttelt den Kopf. Der Händler senkt den Kopf, schaut sie mit Dackelblick an und lächelt. Sie öffnet die Arme wieder und lächelt ebenfalls. Er nennt einen neuen Preis. Ihre Bewegungen werden zackig, und sie versucht aufzustehen. Sanft drückt er sie, die Hände auf ihren Schultern, auf den Schemel zurück, läuft durch den Laden und kommt mit einem großen Strang geräucherter roter Peperoni wieder. Der Strang ist fast so lang wie er selbst. Er legt ihn auf die Tüten und nennt einen neuen Preis. Die Frau lacht, öffnet die Arme und steht auf. Sie zahlt. Lachend packt der Mann sämtliche Tüten und die Peperoni in einen großen Beutel und legt noch einen riesigen Strauß getrockneter Pfefferminze obendrauf. Sie umfassen gegenseitig ihre Oberarme, geben sich vier Luftküsse und strahlen.
Ich muss erneut an die Heimat denken. An scheppernde Einkaufswagen, geschoben von nervösen Menschen, die eigentlich schon längst wieder zu Hause sein wollen. Hier geht es beim Einkaufen genauso sehr um den Weg wie um das Ziel. Ich muss wieder an das afrikanische Sprichwort denken und wandle es im Kopf ab. »Ihr habt die Supermärkte, aber wir haben die Zeit.«
Ich gehe weiter.
Ein paar der Läden haben hinter dem Gitter keine Holztüren,
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