Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
sind nicht zu sehen. Jochen und Mario beschränken sich vorerst auf ihre gefiederten Eierspender. Hinter dem Haus steht eine riesige Scheune aus hellem Holz.
»Die deutsche Version einer tunesischen Ranch!«, sagt Juliette-Rahime und läuft begeistert durch den Garten.
Khaled hält sich die flache Hand über die Augen, blickt zum Horizont über die Raps- und Getreidefelder und sagt: »Guck, Hartmut. Wie Straße nach Ben Guardane. Keine Nachbarn, meilenweit.«
Hartmut erzählt viel von seinen Abenteuern mit diesem Mann, als wir den Tag über vor der Blockhütte sitzen und grillen. Jochen und Mario folgen auch in ihrem neuen Heim dem Prinzip, nichts zu verwenden, das jünger als fünfzehn Jahre ist. Die Sorte Curryketchup auf dem Tisch hat es immer schon gegeben, ebenfalls die Senfmarke und die Bierbrauerei. Im Kassettenrekorder spielt Alannah Myles den Blues, und Nestor, den wir geweckt und mitgenommen haben, fachsimpelt begeistert mit dem einarmigen Jochen über B-Filme, 90er-Maxis und anderen Trash. Hartmut malt mit Worten Bilder über den Grill, von litauischen Landschaften und tunesischer Tatkraft. Er schaut zwischendurch häufig auf sein Handy, da er auf Antwort seiner Susanne wartet, der er während der Flucht aus Nordafrika geschrieben hat. Caterina wirft ebenfalls schon den ganzen Tag ähnliche Blicke auf ihr Telefon. Manchmal geht sie auf die Toilette, steht danach lange an der Flanke der Scheune und lässt ihre süßen Daumen über die Tasten rasen. Ich muss irgendetwas tun. Es kann doch nicht so bleiben, dass der Hebel klemmt. Warum gibt es für solche Dinge kein In-Game-Tutorial?
»Gefällt dir das?«, frage ich Caterina, die schnell ihr Telefon wegsteckt. Ich zeige über das Gelände. Ihre Augen glänzen. Ganz so, als hätte sie schon immer von einem Hof auf dem Land geträumt. Oder als sei der Traum erst vor kurzem in sie eingezogen.
»Unglaublich, was die beiden in der Kürze der Zeit aufgebaut haben. Und Jochen sogar nur mit einem Arm.« Sie sieht mich tadelnd an.
»Ich dachte, er wollte mir Yannick entführen!«, entgegne ich und merke, dass ich knatsche. Na super. Ich bin der würdeloser Winseler aus der Plastikbox im Turm, der solche Höfe nicht nur nicht selbst aufbauen kann, sondern andere mit der Suppenkelle daran hindert. Musste Jochen ihr unbedingt die Wahrheit über seinen Gips sagen?
»Was glaubst du, ist in der Scheune?«, lenke ich ab und haue mit der flachen Hand gegen das Holz. Jochen und Mario haben uns heute schon alles gezeigt. Sie betreiben ihre Retro-Kultur noch konsequenter als früher. Im Erdgeschoss haben sie das Wohnzimmer im Stil der frühen Neunziger eingerichtet, mit einer riesigen, über Eck gebauten Couchlandschaft und großer Schrankwand, in deren von innen beleuchtetem Mittelteil sich Bier-, Wein- und Sektgläser aufreihen. Ihre Küche ist Achtziger, mit richtigen runden Herdplatten und einer Mikrowelle, in der sich eine Kindertagesstätte einrichten ließe. Im Untergeschoss verbirgt sich ein Siebziger-Jahre-Partykeller mit Tanzfläche aus schwarzweißen Karos, zwei Plattenspielern mit Crossfader und dem Komplettbestand der damaligen Tanzmusik inklusive jeder einzelnen Single von ABBA. Das Gartenhaus verwandelt sich abends auf Wunsch zu einer Sechziger-Jahre-Kiffer-Höhle, einem schmuddeligen Unterschlupf für Outlaws, die vor der geöffneten Tür stundenlang ins Feuer starren, während drinnen der Soundtrack der Freiheit aus den Rillen knistert.
»Hey, Jochen!«, rufe ich in den Garten hinüber. »Mach doch mal die Scheune auf!«
»Geht nicht«, ruft er zurück. »Das Gesamtkunstwerk da drin ist noch nicht fertig.«
»Was soll das heißen?«, entgegne ich, und Jochen kommt gemächlich mit seinem Gips auf uns zu.
»Was ist da drin?«
Jochen sagt, die Augen verdrehend wie ein Kind bei Dingsda , das überlegt, wie es den gesuchten Begriff beschreiben soll: »Es ist bunt. Es ist spektakulär. Es ist selten. Und es gibt einem das Gefühl, endlich wieder zu Hause zu sein.«
Caterina hört sich das Rätsel mit mir an, lässt sich aber schon wieder von ihrem Telefon ablenken. Mir dämmert es.
»Nein …«, sage ich. »Ihr baut da drin eine Spielhalle, oder? Mit all den alten Originalen? Als Automaten? Bunt? Spektakulär? Selten? Zu Hause sein?«
Mir läuft der Sabber aus dem Mundwinkel, stärker als beim Grillen, zu dem Nestor zusätzlich die nicht aufgebrauchten Reste unseres tunesischen Büfetts mitgebracht hat. Ich sehe die alten Videospiele vor mir, als
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