Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
runterbrechen. Je kürzer die Formulierung, desto klarer die Lösung. Das ist Susannes Credo, und Susanne lässt sich nicht beirren. Ich setze mich auf den Sockelstein einer riesigen Metallstrebe, die das Gewölbe des Bahnhofs mitträgt. Sozusagen ein stilisierter Atlas, mit der Last der Welt auf seinen Schultern. Passt. Ich atme mehrmals tief durch und taste nach meinen Gedanken.
Alejandro ist auf meiner Wellenlänge. Er hat mir einen Platz zum Malen gegeben. Ich kann mit ihm über Kunst reden. Kinder, Tiere und betagte Mäzeninnen mögen ihn. Er ist charmant und aufmerksam. Er ist witzig, gutaussehend und aufregend. Er riecht gut. Ich bin ihm wichtig.
Aber selbstverständlich ist er nicht meine große Liebe. Der Metallträger über mir knarzt, als würde er jeden Moment nachgeben und mich erschlagen. »Ich will nicht hören, dass das irgendjemand in Frage stellt!«, zische ich ihn an. Das Metall wird wieder still und starr. Also, ich war bei meiner großen Liebe. Er meldet sich nicht mehr bei mir. Es war furchtbar, was in Berlin passiert ist, und wir waren alle völlig neben der Spur, aber er und ich – wir waren doch nur auf zweiter Ebene betroffen. Es hat furchtbar weh getan, aber wieso gibt es zwischen uns keinen Kontakt? Ich weiß nicht, wo er ist, und telefonisch kann ich ihn auch nicht erreichen. Er dagegen weiß, wohin ich gegangen bin. Er weiß es. Und hat sich die ganzen Monate nicht gemeldet. Das ist doch alles Wahnsinn! »Ja, ja alles Wahnsinn, großes Leid. Der Leidende erschafft Kunst statt Larmoyanz!« Aha, typische Kritik der Kopf-Mutter.
Ich glätte mit der Hand meine Stirn, doch sie flutscht in verärgerte Falten zurück. Ich springe auf, schüttle mich wie ein nasser Hund, schnappe mir meinen Koffer und steige in den Zug zum Flughafen.
»Fahrscheinkontrolle! Ja, danke. Danke. Ja, danke. Fräuleinchen, Sie sind hier aber falsch.«
»Warum? Ich wollte im Zug sitzen.«
»Das mag ja sein, aber bestimmt nicht in diesem!«
»Was stimmt denn nicht mit diesem Zug?«
»Mit diesem Zug stimmt absolut alles.« Der große Schnäuzer des Kontrolleurs biegt sich amüsiert nach oben. Der Mann tippt von unten seine Mütze an und schiebt sie in den Nacken. »Mit Ihnen stimmt was nicht.«
»Aha, und was bitte?«
»Auf Ihrem Fahrschein steht, dass Sie zum Flughafen wollen. Die Weiche dorthin haben wir vor wenigen Minuten rechts liegengelassen und befinden uns auf dem geraden Weg nach Darmstadt.«
»Nein.«
»Doch.« Der Schnäuzer bebt vor Freude. Mit ihm ein satter Bierbauch.
»Na, prima«, seufze ich, »dann darf ich die ganze Strecke zurückfahren.«
»Sie können auch bis Zürich durchfahren, dann muss ich Ihnen nur noch ein bisschen Kleingeld abnehmen.«
»Zürich?«
»Ja.« Der Kontrolleur genießt die Diskussion. So etwas müsste doch eigentlich Alltag für ihn sein. Neben mir sitzt eine junge Frau mit Hörer in ihren Ohren. Sie hat die Augen geschlossen. Gegenüber liest ein Mann in der »Frankfurter Allgemeinen«. Ein paar Sitze weiter spielen zwei Jungs ein Spiel an ihren Laptops. Wahrscheinlich zusammen. Für den Kontrolleur ist das ganz sicher ein Höhepunkt des Tages.
»Okay, dann eben Zürich«, sage ich. »Rechnen Sie das Ticket zum Flughafen an?«
Der Kontrolleur reißt die Augen auf. Das ist wirklich mal was Neues.
»Ich soll Ihnen eine Ticketerweiterung nach Zürich verkaufen?«
»Ja, bitte. Wenn ich schon mal hier sitze. Ich war noch nie in Zürich. Das ist doch eine Bildungslücke.«
Der Schnurrbart des Schaffners zittert vor Erregung. So was Spannendes ist ihm noch nicht untergekommen.
»Zahlen Sie bar oder mit Karte?«
»Mit Karte.«
»Dann erweitere ich für Sie erst ab Darmstadt. Macht dann noch 90,80 Euro.«
»Das ist nett von Ihnen.«
»Ja, so sind wir bei der Bahn.« Die Karte rattert aus dem Gerät des Schaffners. Er reißt sie schwungvoll ab und gibt sie mir. Aus den Augenwinkeln betrachte ich die Landschaft vor dem Fenster.
Viele grüne Flächen. Ein paar Farbkleckse. Ich habe schon fast ein Macke-Feeling. Nur eben eher in Grün als in Blau.
»Vielen Dank und gute Reise, junge Frau.«
»Danke, Ihnen auch.«
»Ich reise nicht.«
»Nein, natürlich nicht.«
Aber ich! Ich beame mich nicht von einem Ort zum anderen, sondern ich reise. Macke, Klee und Moilliet sind auch mit Zügen und einem Schiff nach Tunesien gereist. Ich lehne mich zurück und schaue nach draußen. Macke in Grün. Mein spontaner Entschluss war genau richtig.
Und die Sache mit den
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