Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
untersuchen. Bitte machen Sie sich schon mal frei«, sagt sie und geht aus dem Behandlungsraum.
Als ich mich ausgezogen habe, sehe ich in einer Ecke des Schreibtischs eine erschöpfte Blutdruckmanschette liegen. Das kenne ich schon. Ich messe mit meinem eigenen Blutdruckgerät, das ich mir in der Schwangerschaft gekauft habe. Einerseits sollte ich immer messen, andererseits wurden die Ergebnisse von den Ärzten stets angezweifelt.
Frau Dr. Schwarz kommt wieder herein. »So, als Erstes messen wir mal den Blutdruck.«
»126 zu 71.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Von meinem Handgelenksgerät. Das beste auf dem Markt.«
»Das ist Spielzeug. Die sind total ungenau. Darauf sollte man sich bloß nicht verlassen. Nur ein Arzt kann wirklich fachgerecht den Blutdruck messen.«
»Das stimmt nicht. Sie werden es sehen.«
»Ich höre nichts! Stethoskop im Ohr!«
»Hm.«
Die alte, müde Manschette pumpt sich um meinem Oberarm fest.
»Zirka 125 zu 70. Ich habe es Ihnen ja gesagt, diese Handgelenksgeräte sind einfach nur überteuertes Spielzeug.«
»Ja, genau.«
»Dann legen Sie sich bitte mal auf den Stuhl.«
Frau Dr. Schwarz beginnt mit der Untersuchung. Ich baue im Kopf den Motor eines W115/8 auseinander und wieder zusammen. Es dauert lange. Die Frau Doktor redet nicht mehr. Sie ist sensibel und hochkonzentriert. Das überrascht mich ein wenig, aber ich denke lieber weiter über den Mercedesmotor nach.
»Verursacht das Schmerzen?«
»Nein«, sage ich. Langsam steigt Panik in mir hoch. Ist jetzt nicht nur meine Werteliste beeindruckend, sondern auch noch meine Vagina?
»Hm. Ja. Gut. Der Uterus hat sich vollkommen zurückgebildet, Ovarien und Tuben fühlen sich gut an. Der Ultraschall ergab auch keine Auffälligkeiten. Ich gebe den Abstrich ins Labor, und wir schauen uns die Ergebnisse mit Ihren Blutwerten in ein paar Tagen an. Sie können sich jetzt wieder anziehen.«
Sie setzt sich zurück an ihren Schreibtisch, während ich mich davor anziehe. Erstaunlich unkonventionell – es gibt nicht mal einen Paravent. Frau Doktor Schwarz redet weiter: »Die Unterlagen hier sind ja recht frisch, und auch nach der Untersuchung kann ich keinen klinischen Befund feststellen. Wir warten noch die Werte ab, aber sehen Sie, mit meinen langen Jahren der Erfahrung, ich gebe erfolgreich seit vielen Jahren Seminare an der Uni, kann ich Ihnen versichern, dass eine erhöhte BSG keine relevante Aussagekraft hat. Viele rennen damit ihr Leben lang völlig gesund herum. Es ist gut, dass Ihre Hausärztin so vorsichtig ist, aber im Moment sehe ich da keinen Handlungsbedarf. Sollte der CRP-Wert extrem hoch sein, werden wir uns etwas überlegen müssen, aber selbst dabei ist eine leichte Erhöhung kein Problem.« Sie strahlt mich an. Ihre Strenge hat Pause, ihre Kompetenzbekundungen nicht.
Frau Dr. Schwarz hat schwer angegeben und es mir damit leichtgemacht. Dennoch kommen nach dem Besuch bei ihr Erinnerungen hoch. An das Krankenhaus in Berlin. Das gemeinsame, einsame Schweigen. Das Greige der Wände, wie Dr. Chang es nannte, der gutmütige Alternativmediziner, bei dem ich Lisa per Unterwassergeburt zur Welt bringen wollte. Einen Besuch bei ihm würde ich nicht so gut überstehen wie bei Frau Dr. Schwarz.
Ich will nicht ans Gestern denken, also nutze ich die Chance der Rückfahrt und denke ans Vorgestern. Die vorbeiziehenden Bahnstationen sind wie Fotos in einem Album und erinnern mich an die Vergangenheit in meiner Heimatstadt.
Die Bahn ist nur spärlich besetzt. Ein paar Reihen vor mir sitzt ein junges Pärchen, das über die letzte Englischarbeit spricht und dabei Händchen hält. Rechts, auf einem der Einzelplätze, liest eine Frau in meinem Alter den Kölner Express . Sie ist dezent, aber sehr sorgfältig geschminkt, trägt hochgesteckte Haare und ein Glencheck-Kostüm mit eleganten Schuhen. Vorstellungsgespräch. Vielleicht bei einer Bank oder einer Versicherung.
An der Ulrepforte drängen sich pralle alte Plastiktüten in die Bahn. Sie ziehen einen schmuddeligen Mantel mit sich. Der darin befindliche Mann setzt sich vier Reihen vor mich und breitet die Tüten aus. Er murmelt etwas. Ich erwarte Geruch, doch es erreicht mich nichts. Ich sehe aus dem Fenster. Die Stadtmauer am Sachsenring zieht vorbei, doch mit der Ulrepforte verbinde ich mehr. An dem mittelalterlichen Gemäuer habe ich schon geknutscht. In Manfred war ich sehr verliebt. Eines Tages heiratete er eine andere. Ich war ihm zu jung. Ausgerechnet am Abend
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