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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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leeve Hergott ernäht se doch«, sagt der Mann, der die Bahn als Badezimmer benutzt. Er nimmt die Haare aus dem Kamm und steckt sie zu den Nagelresten in das Tuch. Der Kamm gesellt sich zu der Nagelschere, doch eine Zahnbürste will den Pflegereigen fortsetzen. Zwei Kunststoffflaschen und eine Tube Zahnpasta gesellen sich hinzu.
    Es geht weiter zum Ebertplatz. Meine Großeltern haben mal in der Balthasarstraße gewohnt. Ich erinnere mich an den Teich, der vom Ebertplatz in Richtung Rhein liegt, mitten in einem kleinen Park. Als Kind bin ich dort mit meinen Großeltern spazieren gegangen. Einmal lag plötzlich ein Fisch auf dem Rasen und zappelte. Ich bestand auf Rettung des kleinen glitschigen Wesens und ahnte, dass meine Großeltern da weniger sentimental geprägt waren. Mein Opa nannte mich immer »Krönzel«, also »Stachelbeere« – süß, aber stachelig. Meine Oma hielt mich zurück, und mein Opa ging tapfer hin. Er achtete stets auf korrekte Haltung, Kleidung und Benehmen. Er trug Hut und einen langen Mantel. Er bückte sich kurz und stellte sich wieder kerzengerade hin. Ich rechnete damit, dass er den Fisch tottreten würde, damit »das Leiden beendet« wäre. Doch mein Opa überraschte mich und kickte den Fisch ganz behutsam zurück ins Wasser. Er schaute ihm nach, und als er sich zu uns umdrehte, wurden seine Mundwinkel nur noch von seinem Hut aufgehalten.
    Der pflegebewusste Mann ein paar Reihen vor mir gurgelt herzhaft und spuckt den Schaum in die leere Flasche.
    »Däm Mariellche singe Sonn … Jo, dat es dä Jesus, wie off soll ich dat dann noch verklöre? Alsu, hä sät, singe Bap soll dat maache, wat hä för richtig häld und nicht wat dä Jung selvs meint. All dat litt em Hergott singer Häng.« Er wischt sich mit dem Mantelärmel seinen Mund trocken.
    Die Kostüm-Frau auf der rechten Seite faltet den Express sorgfältig zusammen, legt ihn auf den Sitzplatz und geht zur Tür. Der nächste Leser wird eine Brötchenkrümeldusche erhalten. Sie kramt in ihrer Tasche, dreht sich noch mal um und gibt dem Mantel wortlos zwanzig Euro. Vielleicht kam sie doch nicht vom Vorstellungsgespräch.
    »Sid bedank! Lever rich und gesund als ärm un krank!« Zwei vollständige weiße Gebisse grinsen sich an. Das Glencheck-Kostüm steigt an der Lohsestraße aus und nimmt seine Trägerin mit. Bisher verkörperte diese Haltestelle die pure Trostlosigkeit. Jetzt verbinde ich sie mit großzügigem Grinsen. »Sobald der Erste das Gefühl hat, ganz allein auf der Welt zu sein, geht das Elend los«, hat Hartmut mal gesagt. Früher. Vor Berlin. Vor der Zeit von Krieg und Bitterkeit.
    »Sid gewess. Ich ben bei üch de ganze Zigg, bes an et Engk vune dä Welt! Säht dä Bap!«, ruft der Mantel laut, als er mit seinen Plastiktüten aus der Bahn an der Haltestelle Neusser Straße/Gürtel steigt. Vielleicht muss er zum Bezirksrathaus Nippes und hat sich deswegen besonders herausgeputzt. Bei der Abfahrt sehe ich, wie er auf dem Bahnsteig das Tuch mit seinen Körperabfällen in einen Mülleimer entleert, es in eine Manteltasche steckt, die Schultern streckt und seine Plastiktüten zum Ausgang drängen.
    Die Bahn fährt bergan, wieder der Helligkeit entgegen, der Mollwitzstraße. Hier muss ich raus. Diesmal werden meine Gedanken nicht christlich kommentiert.

    »Udo, das ist ja ganz wunderbar. Da wird sich mein Susannchen aber freuen. Kann ich dir etwas anbieten? Einen Kaffee? Einen Armagnac? Nimm dir doch ein paar Kekse. Ach, das ist ja so schön geworden. Und das ist auch wirklich dicht?«
    »Aber ja, Hildegard, keine Sorge, das ist hier alles stabil«, sagt Udo und nimmt sich einen Keks, als ich in mein Ess-Büro trete.
    Am hinteren Ende, direkt unter dem Fenster, steht ein großer Schrank, auf dem sich ein gigantisches Aquarium befindet. Obwohl, Aquarien sehen von den Proportionen her anders aus. Dieses hier ist deutlich niedriger. Ich gehe darauf zu.
    »Susannchen, da bist du ja wieder. Wie war es bei der Frauenärztin?« Ich schaue meine Mutter giftig an, und sie verstummt.
    »Hallo, Susanne«, sagt Udo freundlich und stellt sich neben mich. »Erinnerst du dich an unsere Badewanne-Aquarium-Unterhaltung?«
    »Hm.«
    »Ich habe hier eine Ebene eingezogen und aus Korkröhre einen Aufgang gebaut. Und hier sind noch alte Mangrovenwurzeln. Darauf klettern Schildkröten besonders gerne. Das da über der oberen Ebene ist eine Wärmelampe. So kann Irmtraut schwimmen und sich sonnen. Aber das Beste ist, dass sie auch aus dem Fenster

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