Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
weit davon sitzt ein Paar glühendroter Wangen unter steilen Zornesfalten. Die Komposition gehört Trude. Sie hat die Arme verschränkt und schaut demonstrativ von dem Männerpulk weg.
Drei Männer lösen sich daraus und gehen zur Bühne, Herr Thier und zwei von denen, die ich nicht kenne. Alle drei tragen teure Anzüge und dezente Krawatten, deren Muster aus der Entfernung nicht zu erkennen sind. Die ersten Fotoapparate lösen Blitzlicht aus, die Menschen setzen sich. Trude und Rick wechseln erregt ein paar Worte.
»Guten Abend, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger«, beginnt der mittlere Anzugträger. »Mein Name ist Neuhaus. Ich bin der Beauftragte der Stadt, um Ihre Bedenken bezüglich der Komfortverbesserung der Neusser Straße entgegenzunehmen. Seien Sie gewiss, dass wir uns aller Argumente sorgfältig annehmen werden. Ich darf Ihnen zunächst die beiden Führer der Bürgerinitiativen vorstellen: Zu meiner Linken sitzt Herr Budde. Er leitet die Initiative zum Erhalt der linken Straßenseite. Zu meiner Rechten sitzt Herr Thier. Er ist der designierte Vorsitzende der Bürgerinitiative, die sich heute konsolidieren möchte. Er vertritt die Interessen der rechten Straßenseite.«
Ein Murmeln hebt an. Es wird mit jeder Sekunde lauter.
Trudes hochrote Wangen springen auf: »Hä lüg! Dat Thier hät de Opdrag, gäge all zo sin!«
Die Worte wirken wie eine Initialzündung, denn Trude hat recht: Herr Thier und wir sind gegen alles, so war es vereinbart und nicht anders. Der Saal brodelt. Die Blitzlichter geben alles.
»So beruhigen Sie sich doch, meine Damen und Herrn. So kommen wir doch nicht weiter«, ruft Herr Neuhaus ins Mikrophon.
Herr Thier hebt seine Arme. Die Menschen beruhigen sich.
»Es haben sich nach dem neuesten Kenntnisstand unwiederbringliche Tatsachen ergeben, die uns zwingen, unseren Kurs leicht zu korrigieren. Die Straße wird ausgebaut, und wenn wir gegen alles sind, verlieren wir den Kampf. Die Initiative von Herrn Budde hat das längst begriffen. Nur eine Spezialisierung hat den Hauch einer Chance der Durchsetzung. Wir müssen Vernunft walten lassen.«
Ein junger Mann mit Glatze und schmalem Backenbart springt auf und schreit: »Pure Vernunft darf niemals siegen!«
»So kommen wir doch nicht weiter«, sagt Herr Thier, »und deswegen sage ich hier und jetzt: Wir sind gegen den Ausbau der Neusser Straße – auf der rechten Seite. Die ist schützenswerter als die linke Seite …«
»Hald ding Muul, do dreckelige Schwaadschnüss! Wat hässte üvverhaup met dem Budde ze dun? Do Hungksfott!« Rick gerät in Rage. Seine Augen sind dabei ganz ruhig. Er hat nicht getrunken. Er muss wirklich sauer sein.
»Mer sin gäge alles! Et es, wie et es!«, sagt eine junge Frau, gemessen und unumstößlich. Ich erkenne ihre Frisur. Im »Kölsche Klüngel« saß sie unauffällig in der Mitte des Raumes.
Die Journalisten halten Aufnahmegeräte in die Luft oder schreiben ganz altmodisch in Steno mit. Sie bekommen mehr zu tun, als sie dachten.
Bestätigungsrufe machen sich über dem Murmeln der Massen breit.
»Na, das können wir doch ganz einfach regeln, meine Mitbürgerinnen und Mitbürger«, sagt Herr Neuhaus. »Wir sind doch alle erwachsene Menschen, und wie sagen wir hier in Köln gern: Jedem Dierche sing Pläsierche. Mir liegt eine Unterschriftenliste vor, die muss korrigiert werden. Wir machen jetzt eine Pause, in der Sie Ihren Namen von der Liste streichen und, wenn Sie es für richtig halten, in eine Liste für eine Bürgerinitiative gegen alles eintragen können.«
»Das geht so nicht. Ich protestiere aufs Schärfste«, sagt Herr Thier, als würden ihm die Arme auf den Rücken gedreht, um ihm Handschellen anzulegen.
»Ich auch!«
»Herr Budde, Sie haben doch damit überhaupt nichts zu tun. Herr Thier, ich nehme Ihren Protest zur Kenntnis.«
»Danke.«
»Gern geschehen.«
Ich bin froh, als ich am Abend endlich daheim in der stillen Wohnung vor dem Bildschirm sitze. Die Stimmen aufgeregter Bürger klingen mir noch im Ohr. Irmtrauts kleine Krallen kratzen auf der Korkrampe.
Liebe Caterina,
was für ein verrückter Tag.
Was ist denn ein Ballenberg? Ist der nur so hoch wie ein Fußballen, oder was kann ich mir darunter vorstellen?
Ich freue mich für Dich, dass Du so eine schöne Zeit in der Schweiz hast!
So idyllisch geht es hier gerade nicht zu. Ich will nicht lange darüber reden, aber es ist wie immer: Nur Lug und Betrug in der Politik. Und ich mittendrin. Was mache ich da überhaupt?
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