Erdwind
kannt war.
Das äußere Tor war nicht bewacht. Das war bedrückend, denn es zeigte, daß die Anwesenheit des Schiffes bereits Ritual und Sitte durcheinandergebracht hatte.
Als sie in den Graben zwischen der inneren und der äuß e ren Wand kam, wurde das Rufen und Streiten lauter.
In fast völliger Dunkelheit, obwohl eine Fackel, die in e i niger Entfernung an der inneren Düne flackerte, spärliches Licht gab, das jedoch Elspeth nicht traf, kletterte sie an der inneren Wand hoch und spähte sehr vorsichtig zum glose n den Feuer hinunter. Die Luft war schwer vom Gestank der Fackeln, die in einem gr o ßen Kreis um die Feuergrube und auch um die Krone der inneren Düne brannten. Die Feue r grube selbst war kalt und leer, um sie saßen Gruppen von Männern und Frauen, alten und jungen (viele waren in die einfachen Mäntel gewickelt, welche die Aerani aus dem L e der der Schwarzflügler mac h ten); es waren ihre Stimmen, die so laut tönten. In einiger En t fernung saßen oder standen in besonderen Gruppen die übrigen Angehörigen des crog und sahen lautlos zu; Reihen eindruck s voller Gesichter, die den Streit beobachteten. Jenseits der niedrigen Decke aus Blaurindenstä m men über der eigentlichen Feuer-Halle glommen ein paar Feuer zwischen den zusa m mengedrängten Schlafstätten des Dorfes. Irgendwo dazwischen werkte der einsame Künstler geräuschvoll und eifrig.
In der mittleren Gruppe, direkt unter ihr, saßen sich zwei wüte n de Männer gegenüber. Elspeth glaubte, Darrens böses G e sicht zu erkennen, doch in dem ungenügenden Fackellicht war es schwer auszumachen. Den anderen Mann, der mit dem Rücken zu ihr saß, konnte sie überhaupt nicht identif i zieren. Sie rutschte die Düne wieder hinunter in den Graben, rannte herum zum inneren Tor und schlich sich hinein, u n bemerkt, wie sie hoffte, obwohl sie ja jetzt das Recht hatte, hier zu sein. Eine Hand berührte sie, und sie sprang vor Angst in die Höhe; doch als sie sich umdrehte – bereit, um ihr Leben zu kämpfen –, da war es Moir, die sie tränenübe r strömt ansah.
„Sie werden kämpfen“, schluchzte sie. „Oh, Elspeth, sie kämpfen wegen der Ehre, und Darren wird bestimmt gewi n nen …“
Kämpfen wegen der Ehre. Elspeth wurde richtig übel bei di e sen Worten. Dann fragte sie: „Darren wird kämpfen?“ Sie spähte in die Menge, doch sie konnte den jungen Mann nicht sehen. „Aber wenn du meinst, er gewinnt – warum regst du dich dann so auf?“
„Er kämpft gegen Engus“, antwortete sie, und aufs neue flo s sen ihre Augen von Tränen über. Jetzt wußte Elspeth, wer der Unte r setzte war, der mit dem Rücken zu ihr saß: Engus, Moirs Lie b ster, ihr ‚fester Mann’. Und Darren, ihr Bruder. Bei der starken Familienbindung der Aerani mußte ihr dieses Duell, ganz gleich wie es ausging, tödlichen Schmerz bereiten.
Arme Moir.
Elspeth nahm sie in die Arme, alle Gedanken um die e i gene S i cherheit waren weg. Nach einiger Zeit zog sich die Menge von der Feuerstelle zurück. Nur Darren und Engus blieben am Rande der Grube hocken und starrten wortlos in die tote Asche des Fe u ers von gestern.
Elspeth setzte sich auf die Basis der inneren Düne. Still wei n te Moir an ihrer Brust. Mann für Mann beobachteten die Aer a ni stumm, doch mit unverkennbarer Erregung das Zentrum der Fe u ergrube. Elspeths Blicke wurden von den Hunderten von Nischen angezogen, wo die abgetrennten Häupter der in e h renhaftem Streit Gefallenen aus leeren, knöchernen Augenhö h len auf die Stelle hinunterstarrten, wo der Kampf bald beginnen würde. I r gendwo in diesem Ring der höchsten Ehre wurde vielleicht s o eben eine neue Nische ausgehoben. Sie konnte zwar nichts De r artiges sehen, doch einer würde bei diesem Duell sein Leben la s sen, so daß man sicher schon jetzt mit den Vorbereitungen für das Beise t zungsritual beginnen würde.
Wer würde in ein paar Minuten aus der Erde starren? Sie konnte den Gedanken, daß Darren in so einem Duell sein Leben aufs Spiel setzte, kaum ertragen; und doch stand ihr g e spenstisch sein Schädel vor Augen, der sie angrinste, Würmer in den Ohrlöchern, Erde, wo das Hirn gewesen war … die Vision wollte nicht weichen, als wolle eine W e senheit sie auffo r dern, sich zu wappnen für die Tragödie, die gleich beginnen würde.
Sekundenlang schloß sie die Augen, kämpfte gegen die plötzl i che Angst an, die in ihre Eingeweide kroch und nicht we i chen wollte. Dann öffnete sie die Augen wieder und zwang sich,
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