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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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setzen Sie ihnen doch einfach keine Monitoren ein. Was wäre leichter, als nichts zu tun?“
    „So leicht ist das nun wieder nicht.“ Gorstein schüttelte den Kopf. Er sah beinahe deprimiert aus. „Wenn sie jetzt wirklich glauben, es sei richtig, die Monitoren anzunehmen, und wir i m plantieren sie ihnen nicht – was dann? Dann hat das Orakel g e sagt, es soll etwas getan werden, und es wird nicht getan. Das wäre vielleicht noch schädlicher, meinen Sie nicht?“
    „Nein! Der Seher könnte das wegrationalisieren.“ Da r aufhin lachte Gorstein laut und bitter. „Natürlich. Wie lax von mir, daß ich unsere wunderbaren Schamanen und ihre unfehlbaren Erklärungs- und Rationalisierungskünste ve r gessen habe! Wi s sen Sie, Mueller, daran ist etwas sehr Schäbiges. Diese Tats a che ist mir klargeworden, nachdem ich von diesen Dingen a b gekommen bin. Früher war es Gott, und der wurde dann durch das tao ersetzt, was vermu t lich schon immer Gott gewesen ist. Haben Sie mal was über Gott gelesen, Mueller? Man konnte ihm Opfer bringen; und wenn Gott den Wunsch dann nicht erfüllte, hieß es einfach nur: Das Opfer hat Gott nicht gefallen. Mit der Laune der al l mächtigen Gottheit konnte man alles rationalisieren, was im L e ben geschah. Heute haben wir das ching. Es sagt: Das und das könnte schlecht ausgehen, und wenn es tatsächlich schlecht au s geht, dann hat man es eben nicht geschafft, sich in Einklang mit dem Strom des tao zu bringen. Wenn es d a gegen gut ausgeht, dann hat man den Einklang eben e r reicht.“ Er lachte. „Blöd, nicht wahr?“
    „Wirklich rührend“, erwiderte Elspeth kalt. „Dieses A r gument ist das erste, womit ein Kind in seinem Erziehung s programm konfrontiert wird. Sie sind offenbar ein bißchen z u rückgeblieben in Ihrer Erziehung.“
    „Besser spät als niemals“, erwiderte er liebenswürdig. „Wa r um denken eigentlich so wenige Menschen so wie ich?“
    „Weil sie wissen, daß das tao existiert und daß das ching wir k lich funktioniert.“
    „Das habe ich auch nie bestritten. Ich sagte, es sei ein Werkzeug des Aberglaubens; und Aberglaube ist eine Ge i steshaltung, nicht die funktionelle Fähigkeit oder Unfähi g keit des Werkzeugs. N a türlich funktioniert das ching. Es funktioniert, wenn man an sein Funktionieren glaubt. Wenn man sich keine Sorgen darüber macht, ob es funktioniert oder nicht, dann braucht man es nicht. Je mehr ich darüber nachdenke, um so mehr sehe ich es als eine Krücke für ängstliche Menschen. Ich muß endlich mal einen philos o phischen Zusammenstoß mit dem lieben alten Ashka haben. Ich könnte ihn vielleicht sogar einmal schlagen.“
    „Bezweifle ich.“
    Gorstein grinste höhnisch. „Und warum, bitte?“
    „Weil er sieht, was jeder außer Ihnen sieht – daß Sie se l ber Angst haben, daß Ihre freche, vulgäre und fast heitere egoistische Obe r fläche den kauernden, zitternden Schatten eines von Furcht e r füllten Mannes verdeckt.“
    Mit wachsendem Ärger sah der Schiffs-Meister Elspeth an. Nach und nach schwand alle Liebenswürdigkeit aus se i ner Miene. „So, meinen Sie?“ entgegnete er beherrscht. „Dann sagen Sie mir doch, Mueller, wovor hat dieser ka u ernde Schatten eines Mannes, den Sie so fachmännisch en t deckt haben – wovor hat er e i gentlich Angst?“
    „Vor der Strafe für Mißerfolge vielleicht?“
    „Da haben Sie verdammt recht“, stieß Gorstein hervor und lachte dann. „Stimmt genau, ich habe Angst vor der Strafe für Miße r folg. Wer hätte das nicht? Aber ich versuche gar nicht, das zu verbergen. Unter dieser ständigen Angst stehen wir alle. Sie macht mich unsicher, nervös, sie erleic h tert die Entsche i dungen und verhärtet das Gewissen. Ist das alles, wovor ich Angst habe? Dann könnte ich froh sein, glaube ich.“
    „Und ich glaube, ich habe mich geirrt. Ich glaube, ganz tief dri n nen haben Sie doch keine Angst vor Mißerfolg.“
    „Oh, vielen Dank, Mueller. Ja, dann …“
    „Sie haben vor etwas viel Fundamentalerem Angst“, fuhr sie fort, und Gorstein stöhnte leise. „Sie sind durcheinander, Schiffs-Meister, Sie wissen in Wirklichkeit nicht, ob Sie gla u ben sollen oder nicht, Sie wissen nicht, ob man in die Zukunft sehen kann oder nicht. Sie wissen nicht, ob Sie h e rausbeko m men sollen, was das Schicksal für Sie auf Lager hat oder ob Sie es darauf a n kommen lassen sollen. Das ist es, nicht wahr? Sie wollen nicht an das ching glauben, Sie wollen an sich selbst glauben, an Ihren

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