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Erebos

Erebos

Titel: Erebos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Gewissheit bereits, bevor er den Türknopf gedreht hatte. Er sah die Kanne sofort, als hätte sie seinen Blick magnetisch angezogen. Sie lugte aus einer ledernen Umhängetasche heraus, die an einem Haken zwischen Jacken und Mänteln hing.
    Blitzschnell schlüpfte Nick in den Raum und schloss die Tür hinter sich. Das allein konnte ihn schon in beträchtliche Schwierigkeiten bringen, hier hatte kein Schüler etwas zu suchen. Doch hier konnte ihn auch niemand beobachten, kein Dan, kein Colin, kein Jerome.
    Nick hob die Kanne ein Stück aus der Tasche heraus. Es gluckerte leise, sie musste noch etwa halb voll sein. Er spürte seinen Herzschlag bis unter die Kopfhaut, als er sie aufschraubte. Pfefferminztee. Die Pillenflasche in seiner Hosentasche drückte, als wollte sie sich zu Wort melden.
    Ich könnte es tun, dachte Nick. Jetzt. Schnell.
    Nein. Er war ja nicht verrückt! Was zum Teufel tat er hier überhaupt?
    Noch eiliger, als er sie geöffnet hatte, schraubte Nick die Thermoskanne wieder zu, wischte mit seinem Sweatshirt die Fingerabdrücke von der verchromten Oberfläche und steckte die Flasche zurück in die Ledertasche.
    Aber er war hier gewesen. Jemand hatte ihn sicher hier reingehen gesehen. Das war die Hauptsache.
    Aus der Lehrergarderobe wieder hinauszutreten kostete ihn allerdings Überwindung – was, wenn er Mr Watson in die Arme lief? Doch niemand beachtete ihn sonderlich, als er den Raum verließ und die Tür schnell hinter sich zuzog. Nur Helen schlurfte gerade vorbei und durchbohrte ihn mit einem unergründlichen Blick.
    Die Pillenflasche entsorgte er nach dem Unterricht in einem Mülleimer bei der U-Bahn und fühlte sich auf einmal überraschend leicht. Er war klug vorgegangen, er hatte jedes Detail bedacht. In der Garderobe konnte er buchstäblich alles getan haben, niemand würde das Gegenteil beweisen können. Mr Watson würde leben, Sarius ebenfalls. Er war praktisch schon eine Elf.

21.
    Eine Kathedrale der Dunkelheit, denkt Sarius, als er dem Boten gegenübersteht. Sie befinden sich in einem riesigen Raum mit Spitzbogenfenstern, durch die kein Licht hereinfällt, obwohl es wirkt, als würde das Glas in fahlen Farben leuchten. Steinstatuen, doppelt so groß wie Sarius, mit Dämonengesichtern und Engelsflügeln, stehen zwischen den Fenstern und starren ins Nichts.
    Der Bote sitzt auf einem aufwendig geschnitzten Holzstuhl, einer Art Thron. Dahinter klafft etwas, noch dunkler als der Rest der Umgebung: ein Erdspalt oder Abgrund, Sarius kann es von seiner Position aus nicht genau erkennen.
    Der Bote hat die langen Finger unter seinem Kinn zusammengefaltet und betrachtet Sarius schweigend. Rundum flackern Hunderte graue Kerzen in ihren Leuchtern.
    »Du hattest einen Auftrag«, sagt der Bote.
    »Ja.«
    »Hast du ihn erfüllt?«
    »Ja.«
    Der Bote lehnt sich zurück und schlägt die Beine übereinander.
    »Erzähle mir davon.«
    Sarius fasst sich kurz, obwohl er kein wichtiges Detail auslässt. Er berichtet vom Fund der Pillen, von seiner Suche nach der Thermoskanne und erzählt schließlich, dass er die Pillen in den Tee geschüttet hat.
    »Alle?«, will der Bote wissen.
    »Ja.«
    »Gut. Was hast du mit der leeren Flasche getan?«
    »Weggeworfen. In einen Mülleimer bei der U-Bahn-Station.«
    »Gut.«
    Wieder tritt Schweigen ein. Eine Kerzenflamme erlischt zischend, ein dünner Rauchfaden steigt auf und nimmt die Form eines Schädels an. Der Bote lehnt sich vor, seine gelben Augen verfärben sich rötlich.
    »Erkläre mir etwas.«
    Ich war dumm, er weiß es, er weiß alles …
    »Einer meiner Späher fand die Flasche. Sie war voll.«
    Sarius ist heiß vor Panik. Eine Erklärung, schnell …
    »Vielleicht hat der Späher die falsche Flasche gefunden.«
    »Du lügst. Andere Späher melden, Mr Watson sei bei bester Gesundheit. Er sei noch immer in der Schule.«
    »Möglicherweise hat Mr Watson noch nicht von seinem Tee getrunken«, wirft Sarius hastig ein. »Oder er hat ihn weggeschüttet, weil er durch die Pillen bitter geschmeckt hat.«
    »Du lügst. Ich habe keine Verwendung mehr für dich.«
    »Nein, Moment, das stimmt so alles nicht!«
    Sarius sucht verzweifelt nach Argumenten, mit denen er den Boten überzeugen kann. Er ist so geschickt gewesen, niemand kann ihm nachweisen, dass er sich gedrückt hat.
    »Ich habe alles so ausgeführt, wie es abgesprochen war. Wenn Mr Watson seinen Tee nicht trinkt, ist es nicht meine Schuld. Ich habe –«
    »Unentschlossene, Zauderer, Ängstliche und Moralapostel

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