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Erebos

Erebos

Titel: Erebos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Waschbecken stand der Mülleimer. Halb voll, mit gebrauchten Papiertaschentüchern, leeren Getränkedosen, einer Bananenschale, einem angebissenen Pausenbrot und einigen zerknüllten Heftseiten.
    Mit spitzen Fingern schob Nick das Papier auseinander. Fehlanzeige. Unter der ersten Getränkedose war ebenfalls nichts.
    Er wühlte tiefer, blieb ihm ja nichts anderes übrig. Da war noch mehr zerknülltes Papier. Eine untalentierte Zeichnung, die ein nacktes Mädchen zeigte. Nick schob seine Hand noch ein wenig tiefer. Wenn da immer noch nichts war, würde er den Mülleimer nehmen und umdrehen, sich durch den Mist wühlen wie ein Hausschwein. Oder – der beste Gedanke von allen – dem Boten klarmachen, dass da kein Fläschchen im Mülleimer gewesen war. Die Hoffnung hatte kaum Zeit, sich in Nick auszubreiten, da sah er es – eine kleine Schachtel, blau und weiß. »Digotan®, 50 Tbl, 0,2 mg«, las Nick. Er hob die Schachtel heraus, fühlte, dass sie nicht leer war. Verfluchter Mist.
    Er schloss sich in die letzte Kabine ein und öffnete die Packung. Eine kleine braune Flasche kam zum Vorschein, etwa zu zwei Dritteln mit weißen Pillen gefüllt.
    Nick öffnete die Flasche, roch an ihrem Inhalt, bemerkte nichts Auffälliges. Die Tabletten sahen harmlos aus; sie waren klein und kreidig, mit einer Teilungsrille in der Mitte.
    Er hatte die Worte des Boten behalten – dass er sich nicht darum kümmern sollte, was genau die Flasche enthielt –, doch für Nick ging kein Weg am Beipackzettel vorbei.
    Der Wirkstoff der kleinen weißen Pillen nannte sich B-Acetyldigoxin und half, so die Beschreibung, bei Herzschwäche.
     
    Digotan® verbessert die Leistung des Herzens, es schlägt langsamer und kräftiger, ebenso wird die Durchblutung des Körpers verbessert.
     
    Soweit klang es vertrauenerweckend. Nick drehte den Zettel um und suchte nach den Nebenwirkungen.
     
    Warnhinweis: Medikamente mit herzwirksamen Glykosiden können durch Störungen im Mineralstoffhaushalt oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten schnell zu stark wirken. Bei Überdosierung besteht Lebensgefahr! Deshalb sollten Sie bei Auftreten folgender Nebenwirkungen sofort den Arzt aufsuchen: Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen, Halluzinationen, Herzrhythmusstörungen.
     
    Lebensgefahr. Nick sah den Beipackzettel in seiner Hand leicht zittern. Das Zeug konnte schnell zu stark wirken, stand da – was würde passieren, wenn er den ganzen Flascheninhalt in Watsons Thermoskanne entleerte? Würde dann schon ein Schluck Tee genügen, um den Lehrer zu vergiften?
    Mit geschlossenen Augen lehnte Nick sich gegen die Toilettenwand. Er konnte das unmöglich tun. Er konnte niemanden umbringen. Er würde den Boten um einen neuen Auftrag bitten – wieder Fotos machen zum Beispiel. Aber das hier war doch Irrsinn. Wahrscheinlich war es ohnehin ein Programmierfehler und der Bote würde froh sein, wenn Nick ihn darauf aufmerksam machte.
    Das glaubst du doch selbst nicht.
    Er erinnerte sich daran, was der weißhäutige Gnom vor zwei Tagen am Lagerfeuer gesagt hatte: dass sie ihre Feinde als Feinde behandeln sollten. Diejenigen, die die Welt von Erebos zerstören wollten. Hatte er tatsächlich gemeint, sie sollten sie umbringen?
    Nick wog das Fläschchen in seiner Hand. Kurz überlegte er, den Inhalt ins Klo zu schütten, doch dann wagte er es nicht. Vielleicht brauchte er die Pillen doch noch. Er musste sich etwas einfallen lassen.
    Den Rest der Stunde strich er ruhelos durchs Schulhaus wie ein Geist. Er brauchte eine Idee, und zwar nicht irgendeine, sondern eine gute. Eine, die es sowohl Watson als auch Sarius erlauben würde, am Leben zu bleiben.
     
    In der nächsten Pause hatte Watson Aufsicht. Nick beobachtete ihn und konnte die Augen nicht von der chromglänzenden Thermoskanne wenden, die der Lehrer lässig unter den Arm geklemmt trug.
    So würde Nick da keinesfalls drankommen. Völlig ausgeschlossen. Die einzige Möglichkeit bestand darin zu warten, bis Watson sie wegstellen würde. Und das würde er vermutlich im Lehrerzimmer tun, wo immer massenhaft Leute waren. Da konnte er nicht einfach reinmarschieren und jemandem Pillen in den Tee werfen.
    Das würde nie klappen! Nick betastete die Flasche in seiner Hosentasche. Es war nicht fair. Der Auftrag war nicht ausführbar, selbst wenn Nick sein ganzes Gewissen über Bord warf, selbst wenn er …
    »Nick?«
    Ihm entfuhr ein unterdrückter Schrei.
    »Adrian, verdammt, musst du dich so ranschleichen?«
    »Tut mir

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