Erebos
diesen Entschluss gefasst hatte, fühlte er sich sofort besser. Er würde mit Emily reden und sie an den gemeinsamen Plan erinnern: Erebos stoppen. Es war immerhin ihre Idee gewesen.
Das Hochgefühl hielt bis zur Englischstunde an, als Nick sein Buch aufschlug und einen zusammengefalteten Zettel fand, den er ganz sicher nicht selbst hineingelegt hatte.
Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er entfaltete den Zettel.
»Neben Jamie ist noch ein Bett frei«, stand da in ungelenken Blockbuchstaben.
Nick atmete tief durch. Er hoffte, niemand merkte ihm den Schrecken an. Aus den Augenwinkeln suchte er nach jemandem, der ihn beobachtete und vielleicht auf seine Reaktion lauerte, doch alle wirkten unauffällig. Helen gähnte und kratzte sich abwesend im Nacken. Colin? Las. Dan und Alex tuschelten miteinander, vielleicht waren sie es gewesen? Alex grinste Nick immer so demonstrativ freundlich an, das war vielleicht seine Art der Tarnung.
Er faltete den Zettel wieder zusammen und schob ihn in seine Hosentasche. Neben Jamie war also noch ein Bett frei. Diese Mistschweine. Damit hatten sie es praktisch zugegeben. Der Unfall war geplant gewesen, jemand hatte Jamies Bremsen sabotiert. Wegen eines beschissenen, beschissenen Spiels.
Mit einem Mal hasste er sie alle so inbrünstig, dass er am liebsten aufgesprungen wäre und ihnen seinen Stuhl um die Ohren geschlagen hätte. Damit sie eine Ahnung davon bekamen, wie viel Spaß ein Schädel-Hirn-Trauma machte. Er sah wieder zu Colin hinüber und mit einem Mal wurde das Bedürfnis, ihm an die Gurgel zu gehen, übermächtig. Nick sprang auf.
»Ja?«, fragte Mr Watson. »Ist etwas, Nick?«
Ich werde gleich verrückt.
»Mir geht es nicht besonders gut. Ich fürchte, irgendwas hat mir auf den Magen geschlagen.«
Er war sicher, dass Mr Watson die Doppeldeutigkeit seiner Worte mitbekommen hatte. Es war seiner Miene anzusehen, aber er fragte nicht weiter nach.
»Dann solltest du vielleicht besser nach Hause gehen.«
»Ja. Danke.«
Es war Nick egal, dass irgendjemand nun sicher denken würde, dass ihn die Angst vor dem Drohbrief aus der Schule jagte. Das spielte keine Rolle. Wichtig war Emily, mit ihr musste er reden, sie steckte sicher noch nicht so tief drin, dass Argumente keinen Einfluss mehr auf sie haben würden. Er musste ihr nur von seiner Jamie-Theorie erzählen und ihr den Brief zeigen. Jetzt. Schnell.
Er holte sein Handy aus der Tasche – einmal würde er es noch mit einem Anruf versuchen.
1 neue Nachricht, verriet ihm das Display. Er drückte auf lesen.
Schick mir auf keinen Fall Mails und versuch nicht, mich über MSN oder Skype zu erreichen. Wenn du Zeit hast, komm um 16 Uhr nach Bloomsbury, 32 Cromer Street, sag zu niemandem ein Wort und stell sicher, dass dir niemand folgt. Emily
Er schluckte, sah sich hektisch um. Blickte wieder auf das Display. Keine Mails, kein MSN – warum? Wusste Emily etwas Neues? Er atmete tief durch und sortierte seine Gedanken. Im merhin las sich die SMS, als hätte Emily nach wie vor alle fünf Sinne beisammen. Und sie wollte ihn sehen! Noch fast drei Stunden, bis es vier Uhr sein würde. Nick hatte keine Ahnung, wie er seine Ungeduld so lange bändigen sollte.
Zu guter Letzt nutzte er die Zeit, um wirklich, wirklich sicherzustellen, dass niemand ihm folgte. Kein Mensch war je einen größeren Umweg zur Cromer Street gefahren und hatte dabei mehr U-Bahn-Linien benutzt.
25.
Vor dem Haus mit der Nummer 32 stand ein höchst seltsamer Kerl. Feuerroter Bart, feuerrotes langes Haar. Beides war geflochten. Er musste auf Nick gewartet haben, denn er ging direkt auf ihn zu, kaum dass er ihn zu Gesicht bekommen hatte.
»Du bist Nick, richtig? Die Lady hat dich gut beschrieben. Ich bin Speedy. Komm mit.«
Er lotste Nick eine enge Treppe hinauf in den zweiten Stock des Hauses. Dort öffnete er eine grüne Holztür. »Hereinspaziert. Trinkst du Cola, Bier oder Ginseng Oolong? Victor behauptet, der Tee sei gut fürs Hirn. Bei ihm funktioniert es.«
Nick, der außer einer kurzen Begrüßung noch gar nichts gesagt hatte, bat um ein Glas Wasser. Warum hatte Emily ihn hierher bestellt? War sie auch da?
Er folgte Speedy durch eine faszinierend vollgestopfte Küche in einen großen Raum, der von vielstimmigem Summen erfüllt war. Nick zählte zwölf Computer, Emilys Notebook nicht mitgerechnet. Sie saß in einer Nische am Fenster, die Kopfhörer in den Ohren, und blickte hochkonzentriert auf ihren Bildschirm.
»Besser nicht stören«, sagte Speedy.
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