Erebos
irgendwo in der Nähe war. Doch Nick entdeckte keine Spur von ihm. Also dann, schnell.
Er zog sie von den beiden Mädchen weg, mit denen sie gerade sprach. »Hör mal, Darleen, hast du gestern einen Zettel in deiner Jackentasche gefunden? Oder irgendwo sonst, in einem deiner Bücher zum Beispiel?«
Sie sah ihn mit einer Mischung aus Angst und Neugier an. »Nein. Wieso?«
»Nur so. Falls du einen findest, heb ihn auf. Gib ihn Mr Watson, aber so, dass keiner der anderen etwas mitkriegt.«
Sie knabberte an ihrer Unterlippe. »Einen von den Zetteln, wie Mohamed ihn bekommen hat? Oder Jeremy?«
Wer waren Mohamed und Jeremy?
»Was waren das für Zettel?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich konnte es nicht richtig sehen. War jedenfalls nicht mit der Hand geschrieben, sondern am Computer ausgedruckt, das weiß ich. Mohamed hat sich danach krankgemeldet, er fehlt schon seit zwei Tagen. Weißt du denn, was draufsteht?«
Nick schüttelte den Kopf. »Nicht genau. Kann ich dich noch etwas fragen?«
Ihr Lächeln war erwartungsvoll und Nick hoffte, dass diese Erwartung nicht ihm galt. Er sah sich um.
»Drin? Oder draußen?«
Sie begriff nicht gleich. Nick deutete ein paar Fechtbewegungen an.
»Oh! Draußen, leider. Aber mit mir können sie das nicht machen, ich habe schon versucht, das Spiel neu zu bekommen, ich war in ein paar Läden und habe außerdem –«
»Lass das besser«, sagte Nick. »Alles. Tu so, als hätte es das Spiel nie gegeben.«
»Aber …«
»Ich weiß. Trotzdem.«
Sie sah ihn mit großen Augen an. Nick versuchte, sich Jamie und sie gemeinsam auf einer Parkbank vorzustellen, im Kino, auf einer Blumenwiese. Schöne Vorstellung. Er hoffte, dass sie ihn vielleicht noch nach Jamie fragen würde. Aber das tat sie nicht.
Am Abend saß er in seinem Zimmer und wusste nicht, was er tun sollte. Sicher war nur, dass er die Ungewissheit nicht ertrug. Wenn er es recht bedachte, hatte Emily sich logisch verhalten, indem sie Nick ignoriert hatte. Sicher. Außer … außer, das Spiel hatte ihn irgendwie bei ihr schlechtgemacht. Da war ein Bild in seinem Kopf, das ihn schon den ganzen Tag über begleitete: der Bote, der Emily erzählte, dass Nick ihr virtuell hinterherspioniert hatte. Dass er dabei geholfen hatte, eine Waffe aufs Schulgelände zu bringen. Zu guter Letzt würde noch das Foto von ihm und Brynne auftauchen und dann war Nick bei Emily für immer unten durch.
Aber das alles war Quatsch. Emily war kühl gewesen, weil sie ihre Tarnung ernst nahm. Er würde sie anrufen und das klären. Jetzt.
Doch Emily ging nicht an ihr Handy, es meldete sich nicht einmal eine Mailbox. Nach zehn Minuten versuchte Nick es noch einmal, eine halbe Stunde später erneut. Das Ergebnis blieb das Gleiche.
Na ja, wahrscheinlich spielte sie. Da war er auch nie ans Telefon gegangen.
Ob er zu ihr fahren sollte? Ja, am besten Sturm läuten und ihre depressive Mutter aufwecken, denn Emily mit ihren Kopfhörern hört die Türklingel sicher nicht. Das galt möglicherweise auch für das Handy.
Er setzte sich vor den Computer und dachte nach. Surfte zu deviantart und durchsuchte Emilys Seite nach neuen Einträgen. Doch seit Nacht, dem Gedicht, das er schon kannte, war nichts Neues dazugekommen.
Den Rest des Abends verbrachte er mit Mum und Dad vor dem Fernseher. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das das letzte Mal getan hatte, und Dad freute sich darüber, das war ihm anzusehen. »Immer nur büffeln ist doch auch nichts«, sagte er und tätschelte Nicks Hinterkopf.
In dieser Nacht träumte Nick sich auf den Friedhof von Erebos und suchte verzweifelt nach Sarius’ Grabstein, doch plötzlich bestanden die Inschriften alle aus verschlungenen Zeichen, die er nicht kannte.
Tags darauf kam Emily überhaupt nicht zur Schule. Nick saß in Chemie und starrte auf ihren leeren Platz, am liebsten hätte er geheult. Er kannte das Muster. Das Spiel hatte, so wie bei allen anderen auch, Macht über sie gewonnen.
Ich hätte sie nicht damit allein lassen dürfen. Warum sollte ausgerechnet Emily immun sein? Doch jetzt war es zu spät. Es half nichts, sie würde nicht mehr mit ihm sprechen, ihn nicht mehr an sich heranlassen, nur noch ihren Aufträgen gerecht werden wollen. Er hätte ihr mehr über das Spiel erzählen sollen, stattdessen hatte er sie ungeschützt in das offene Messer laufen lassen.
In der Pause rief er bei ihr an, aber natürlich hob sie nicht ab. Na gut. Dann würde er nach der Schule eben zu ihr fahren.
Nachdem er
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