Erfindergeist
wurde er nicht.«
»Aha, würden Sie mir diese ›blöde Situation‹ etwas näher erklären?«
»Was soll das bringen? Sie verschwenden nur Ihre Zeit. Es war alles ganz harmlos.«
»Nur zu, ich höre zur Abwechslung gerne mal harmlose Geschichten.«
»Da muss ich etwas ausholen. Gegen 17 Uhr wollten wir uns alle am Free Fall Tower treffen, um gemeinsam wieder heimzufahren. Wir waren zu zwölft und mit drei Autos unterwegs. Ich war eigentlich den ganzen Tag mit meinem Mann zusammen. Da uns nicht so sehr an den Fahrgeschäften gelegen war, sind wir durch den Park gelaufen und haben die Natur genossen. Die meisten Besucher sehen gar nicht, welche tollen Pflanzen es im Park gibt. Da sind einige Raritäten dabei. Manche kann man in Europa gar nicht offiziell kaufen. Zwischendurch haben wir uns auch die eine oder andere Show angesehen. Es war ein wirklich gelungener Ausflug. Zwei- oder dreimal haben wir auch unsere Freunde getroffen, die sind die ganze Zeit von Fahrgeschäft zu Fahrgeschäft gehetzt. Mein Mann und ich haben es uns dagegen gemütlich gemacht. Etwa eine halbe Stunde vor dem vereinbarten Zeitpunkt meinte Berti, er würde gerne mit den Teufelsfässern, das ist eine Wildwasserbahn, fahren. Mich interessierte das überhaupt nicht. Daher trennten wir uns. Um 17 Uhr war mein Mann leider nicht am Treffpunkt, was uns ziemlich verärgerte. Nach einer knappen halben Stunde beschlossen unsere Freunde, heimzufahren. Ich blieb also allein zurück. Ich war nahe dran, das Parkpersonal zu informieren, als mein Mann fünf oder sechs Minuten, bevor der Park um 18 Uhr schloss, doch noch auftauchte. Er war ziemlich durchgeschwitzt, ich dachte zunächst, er sei so nass, weil er aus den Teufelsfässern gefallen war. Aber das war er nicht. Er behauptete, nach der Fahrt in die falsche Richtung gelaufen zu sein. Da es bereits dunkel wurde, habe er die Orientierung verloren. Er sei zweimal um den See gelaufen, sagte er mir. Aus der Entfernung habe er zwar die Achterbahn und den Tower ausmachen können, doch irgendwie verfehlte er jedes Mal das Ziel. Egal, ich war glücklich, dass er wieder bei mir war. Wir kamen problemlos aus dem Park heraus, obwohl es schon ein paar Minuten nach 18 Uhr war.«
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Hannah Kluwer erzählte die Geschichte zwar einigermaßen glaubwürdig, insgesamt klang sie jedoch wenig plausibel. Wer irrt so lange im Park herum, ohne nach dem Weg zu fragen? In diesem Moment fiel mir meine Fahrt zu dem Notar in Oggersheim ein. Das Verhalten von Herrn Kluwer entsprach also dem des typischen Durchschnittsmannes, zumindest, wenn ich mich selbst als Maßstab ansetzte. Es war etwas anderes, was mich stutzig machte. Die Kluwers waren offensichtlich ausgesprochene Pflanzenkenner. Und der ermordete Wolf Bernhardus war der Gärtnermeister gewesen. Konnte es sein, dass vielleicht verbotene Pflanzen angebaut wurden? Ich verwarf den Gedanken sofort wieder. Die Kluwers waren mit Sicherheit nicht die einzigen Pflanzenfachleute, die den Park besuchten. Somit müsste der Anbau von Drogenpflanzen früher oder später zwangsläufig auffallen. Und außerdem ließ sich dadurch der Mord an Berti Kluwer nicht erklären. Trotzdem, an dieser Spur musste ich dranbleiben.
5. Ärger mit Stefanie
Meine weiteren Fragen brachten keine neuen Erkenntnisse. Irgendwann forderte der Arzt mich auf, Frau Kluwer wenigstens bis morgen in Ruhe zu lassen. Borgia war bereits verschwunden. Normalerweise wäre zumindest Gerhard noch hier. Ich bemerkte, wie sehr ich meinen Kollegen vermisste. Er fehlte mir als geistiger Sparringspartner.
Völlig unzufrieden mit der Situation und den zwei Morden – oder waren es bereits drei, wenn ich Jacques mitzählte? – verließ ich das Kluwer’sche Anwesen.
In Fernsehkrimis wie ›Tatort‹ oder ›Polizeiruf 110‹ konnte man häufig beobachten, dass der Täter unmittelbar nach der Tat an den Ort des Geschehens zurückkehrte und sich heimlich unter die Schaulustigen mischte. In der Realität sah das natürlich anders aus. Kein Täter konnte nach einem Verbrechen wie etwa einem Mord so cool und beherrscht auftreten, ohne sich verdächtig zu machen. Vor zwei Jahrzehnten waren die Gaffer prophylaktisch gefilmt worden. Doch meines Wissens konnte dadurch nie ein Verbrechen aufgeklärt werden. Vielleicht lag das auch an den riesigen Kameras, die in den 80er-Jahren noch der aktuelle Stand der Technik waren.
Als Kriminalist hatte ich es im Gespür, wenn etwas nicht mit rechten
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