Erfindergeist
Lighthouse Tower. Dort werde ich Sie treffen. Alles klar?«
»Woher soll ich wissen, dass Sie Herr Brezano sind?«
Ein Klacken beendete das Gespräch. Ich überlegte, ob ich ein Spezialeinsatzkommando in den Park schicken sollte. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob dies eine geschickte Taktik wäre. Angenommen, bei dem Anrufer handelte es sich wirklich um Herrn Brezano, dürfte er, wenn er vom SEK gestellt würde, darüber wenig erfreut sein. Die Frage war, ob er uns dann noch als Zeuge zur Verfügung stünde. Außerdem hatte er einen klaren Heimvorteil. Er dürfte den Park und alle seine Schlupfwinkel in- und auswendig kennen. Nein, ich musste das persönlich regeln. Ich ganz allein.
Auf die naheliegende Lösung, Stefanie bei Christin anzurufen, kam ich dummerweise nicht. So legte ich ihr nur einen Zettel auf den Wohnzimmertisch und versprach, mich nur ein klein wenig zu verspäten. Wenn alles gut ginge, wäre ich ungefähr um 21 Uhr wieder daheim. Ich schnappte mir meinen Einsatzkoffer und fuhr los. Diesmal ließ ich die Imbissbude links liegen.
Um nicht aufzufallen, stellte ich mich auf den offiziellen Besucherparkplatz und kaufte mir eine reguläre Eintrittskarte. Trotz der relativ späten Stunde strömten noch viele Besucher in den Park. Zahlreiche von ihnen, jung und alt, waren verkleidet. Da es für die Parade noch zu früh war, lief ich planlos durch den Park. Ich verweilte eine Zeit lang auf den Bänken am Free Fall Tower und hörte dem Kreischen der Fahrgäste zu, die dort in die Tiefe fielen. Für mich unbegreiflich, dass diese Lebensmüden nach der Fahrt allesamt fröhlich und begeistert ausstiegen. Langsam verdunkelte die Dämmerung die schaurige Szenerie. Parallel dazu leuchteten, als wären sie von einem Dimmer behutsam geregelt, Tausende bunt beleuchtete Kürbisse und Lämpchen auf, die überall in den Büschen und Bäumen verstreut hingen. Die an zahlreichen Verkaufsständen angebotenen Leuchtstäbe verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Park war in Bewegung, er schien zu leben. Diese Atmosphäre war mit der, die die Anlage tagsüber ausstrahlte, nicht im Geringsten zu vergleichen. Binnen einer halben Stunde war ein einzigartiges gruseliges Gesamtkunstwerk entstanden.
Nach einem weiteren Spaziergang setzte ich mich in eines der Selbstbedienungsrestaurants und schaute durch die großen Fensterscheiben dem abendlichen Treiben zu.
›Die Parade beginnt in fünf Minuten‹, tönte es durch die Lautsprecher.
Ich trug mein Tablett zur Sammelstelle zurück und hastete ins Freie. In Sichtweite lag die Geisterbahn, Burg Falkenstein. Auf der anderen Seite des an der Burg vorbeiführenden Weges stand ein historisches Karussell. Mitarbeiter sicherten den Weg mit Absperrband, ähnlich wie das, was wir bei der Polizei verwendeten. Immer mehr Besucher strömten aus den anderen Teilen des Parks herbei und bildeten an den Bändern eine Gasse. Ich hatte Gelegenheit, mir die Anwesenden näher anzuschauen. Meine bisherige Vermutung, dass der Park hauptsächlich für die Zielgruppe der Familien mit Kindern geeignet war, wurde widerlegt. Menschen jeglichen Alters, oft auch ohne Kinder, warteten auf den Beginn der Parade. Sogar eine teilweise verkleidete Seniorengruppe stand nur wenige Meter von mir entfernt und erzählte sich lautstark frivole Witze. Zum Glück hatte ich meinen Sohn nicht dabei.
Ich konzentrierte mich darauf, einen Liliputaner zu erspähen. Gegenüber ragte die Burg empor. Ziemlich weit oben befand sich ein überdachter Freigang, der sehr wahrscheinlich zur eigentlichen Fahrattraktion führte. Der Eingang im Erdgeschoss war durch eine Kette versperrt. Trotzdem war mir, als gäbe es einen stillen Beobachter.
Die nun einsetzende Musik hatte einen beschwingten Refrain, der einige Besucher dazu veranlasste, mitzusingen oder sich rhythmisch zu bewegen. Ich dagegen verstand noch nicht einmal den Text.
Es dauerte ein paar weitere Minuten, bis der erste Motivwagen erschien. Die skurrile Vielfalt der Gefährte hatte ich ja bereits kurz in der Halle, in der der Einbruch stattgefunden hatte, in Augenschein nehmen können. Doch hier, in der unheimlichen Atmosphäre der Dunkelheit, die alle Sinne anregte, wirkten diese so richtig gespenstisch. Das alles schien freilich die kleineren Kinder nicht im Mindesten zu beunruhigen. Sie lachten und zeigten ihren Eltern Details, die ihnen besonders wichtig erschienen. Die Wagen waren alle mit Elektroantrieb ausgestattet und wurden außerhalb der Paraden vermutlich zur
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