Erfindung der Violet Adams
Hinter sich hörte sie, wie Merriman, der versuchte, ihr zu folgen, ausrutschte und mit einem dumpfen Aufschlag hinfiel. Jack half ihm wieder auf die Beine. Der Wind blies Violet entgegen, und sie wünschte, sie hätte noch ihr langes Haar oder trüge ihre Röcke, die um sie herumwehten. Sie wünschte, ihre Brüste wären nicht abgebunden, sodass ihr ganzer Körper den Wind spüren könnte. Sie atmete tief durch und drehte sich um.
Merriman strahlte sie an. »Es ist kalt hier draußen, aber es fühlt sich großartig an«, sagte er.
»Das tut es«, stimmte Violet ihm zu. »Man fühlt sich frei hier oben. Und wir sind von Genies umgeben«, sagte sie und tätschelte dem Löwen den Kopf. Merriman lachte, und Violet und Jack stützten ihn an beiden Seiten, als sie wieder hineingingen.
»Für mich war das wirklich ein gutes erstes Trimester«, meinte Merriman im Aufzug nach unten. »Ich hätte nie gedacht, dass ich hier aufgenommen werde, und dann war ich mir sicher, dass ich von der Schule fliegen würde, aber –«
»Für mich war es das auch«, fiel ihm Violet ins Wort.
»Das liegt daran, dass ihr beide brillant seid«, sagte Jack und klopfte ihnen fest auf den Rücken, »doch ich gebe das Arschloch eines Frettchens darum. Ich will nach Hause und meine Geschenke«, verkündete er und stürmte aus dem Aufzug, als er unten angekommen war.
»Frohe Weihnachten, Jack!«, rief Merriman ihm nach, als er den Gang hinunterrannte. »Frohe Weihnachten, Ashton.« Violet folgte Jack. »Frohe Weihnachten, Ashton«, wiederholte Merriman.
»Frohe Weihnachten, Humphrey.« Violet lächelte, dann eilte sie zu ihrem Zimmer. Sie hatte einen Moment vergessen, dass sie Ashton war. Sie brauchte eindeutig Ferien von diesem Theater. In ihrem Zimmer warf Jack willkürlich Kleidungstücke in einen Koffer. Natürlich war es auch Theater, nach Hause zu fahren und Mrs Wilks die perfekte Dame vorzuspielen, doch aus irgendeinem Grund freute sie sich darauf. Welche Rolle entsprach eher ihrem Charakter? Frau oder Wissenschaftler? Und warum musste sie wählen?
Seufzend setzte sie sich auf ihr Bett.
»Warum bist du so niedergeschlagen?«, fragte Jack und warf noch etwas in den Koffer. »Es geht nach Hause.«
»Ich weiß einfach nicht, was ich einpacken soll«, meinte Violet. Das stimmte zwar, war aber nicht die wahre Antwort.
»Du brauchst so gut wie nichts einzupacken«, sagte Jack. »Lass die ganzen Sachen hier und nimm an Büchern und Werkzeugen mit, was du willst.«
»Stimmt«, sagte Violet, holte ihren eigenen Koffer und öffnete ihn. Sie warf ihre gesamten Bücher und ihren Werkzeugkasten hinein und legte alles an seinen Platz. Sie brauchte nur wenige Minuten. Jack packte noch immer. »So«, sagte sie.
»Prima«, sagte Jack. »Magst du mir einen Gefallen tun? Antony erwartet uns in zwanzig Minuten unten. Kannst du Amelia ins Biologielabor hinunterbringen? Valentine hat gesagt, dass er einen Mann eingestellt hat, der die Tiere in den Ferien füttert und ihre Käfige sauber macht. Der Gedanke, dass sie die ganze Zeit eingesperrt sein wird, macht mich traurig, aber Mutter bringt mich um, wenn ich sie mit nach Hause bringe. Sie hasst Frettchen. Sie sagt, dass sie wie große Ratten sind.«
»Was du nicht sagst«, meinte Violet und nahm Amelias Käfig. Amelia sprang einen Moment herum, dann schrie sie. »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, warum deine Mutter nicht gerade dieses Frettchen lieben würde.« Jack streckte Violet die Zunge heraus, und Amelia schrie noch einmal.
Den Käfig mit dem Frettchen in der Hand, machte sich Violet auf den Weg zum Biologielabor hinunter. Illyria war schon sehr leer. Ihre Schritte hallten in den Gängen. Selbst das elektrische Licht war leicht gedämpft worden und gab den bronzenen und steinernen Wänden einen goldenen Ton. In allen Laboren, an denen sie vorbeikam, waren die Lichter aus. Nur im Biologielabor, das ebenfalls im Dunkeln lag, sah sie ein unheimliches Glimmen. Violet tastete auf der Suche nach dem Lichtschalter im Dunkeln blind die Wände ab. Als die Lampen des Biologielabors angingen, sah sie Volio, der im Licht einer gedämpften Gaslampe an einem scheinbar leeren Tisch arbeitete, auf dem nur ein blutiges Tuch lag. Beim Aufflackern der Lampen sah er auf. Als er Violet entdeckte, knurrte er ärgerlich und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Violet spürte, wie ihr Körper steif und kalt wie eine Stahlstange wurde. Volio hatte gesehen, wie sie den Duke geküsst hatte. Sie hatte ihren Bruder
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