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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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»dann haben Sie Sinn und Richtlinien Ihres eigenen Handelns, Einverständnis oder Kampf mit Ihrem Schicksal.«
    Johanna las in einem klugen, lebendigen Buch über die Verteilung des Einkommens in der Welt, über Klassenkampf, über die Abhängigkeit aller menschlichen Dinge von der Wirtschaft. Aber das Buch half ihr nicht, machte ihr ihre Angelegenheiten, ihr Hassen und ihr Lieben, ihren Tag mit seinen Genüssen und seinen Anfechtungen nicht klarer. Ihre Augen gingen fort von den Zeilen, unvermittelt brachen ihre abgekapselten Vorstellungen durch. Erich war windig, ohne Verantwortung, sonderbar inhaltlos. War es möglich, diesen leeren Mann aufzufüllen? Hätte ihr Tag einen Sinn, wenn sie daranginge? Aber gleich sagte sie sich, das sei verlogenes Zeug, sie wolle sich nichts vormachen, eine solche Aufgabe sei Spielerei im Stil jener dummen Romane. Einfach zusammensein mit diesem Menschen wollte sie, das war es, mit ihm liegen, mit ihm schlafen. Tüverlin war fort, er schrieb nicht. Sie hatte sich schlecht und dumm zu ihm benommen; es war begreiflich, daß er nicht schrieb. Aber es war schade.
    Morgen, als an ihrem Geburtstag, wollte Hessreiter mit ihr im Restaurant Orvillier zu Abend essen. Fancy De Lucca war in Paris, aber Hessreiter bestand darauf, daß sie an diesem Abend allein blieben. Warum war sie gerade mit ihm hier? Mit jedem andern wäre sie lieber zusammen gewesen. Wut überkam sie gegen Herrn Hessreiter. Sie spürte den säuerlichen Geruch seiner Fabrik so stark, daß sie aufstand, sich weit in die Nacht hinauslehnte. Hessreiter ekelte sie an, seine Lauheit, seine umständliche Höflichkeit, seine Serie »Stiergefecht« nicht weniger als seine langbärtigen Gnomen und gigantischen Fliegenpilze.
    Am andern Morgen, sie waren nach Meudon hinausgefahren, sie gingen im Wald in der Nähe eines Teiches, genannt Étang de Trivaux, hatte sie ein Gespräch mit der De Lucca. Fancy hatte den Arm um sie gelegt, die schlanke, geiernäsige Frau sah kindlich aus neben der festen, breiten Johanna. »Einmal«, sagte sie, es war wie eine Antwort auf eine nichtgestellte Frage, »in diesem Jahr, vielleicht erst im nächsten, werde ich den Titel verlieren. Dann werde ich mich noch einmal melden und vielleicht noch einmal Glück haben oder vielleicht auch Unglück. Und einmal dann wird sich zeigen, daß es nicht mehr geht.« Sie sagte das ruhig. Sicher nicht, um sich zu beklagen.
    Des Abends begann Johanna sehr früh Toilette zu machen für das Diner mit Hessreiter. Sie besann sich umständlich, was sie anziehen solle, entschied sich, verwarf, entschied sich von neuem. Während sie im Bad war, fiel ihr aus einem ihrer sozialistischen Bücher eine Stelle ein, die sie geärgert hatte. Noch im Bademantel schlug sie die Stelle nach, konnte sie nicht finden, begann sich anzuziehen. Aber der Gedanke an die Stelle quälte sie, sie suchte von neuem. In der Hemdhosesaß sie vor dem »Wegweiser für die intelligente Frau zum Sozialismus und Kapitalismus« von Bernard Shaw, einem großen Schriftsteller jener Epoche, die Oberlippe eingezogen, drei Furchen über der Nase. Sie fand die Stelle nicht, die sie suchte. Aber sie hackte sich an einer andern fest: »Ich habe Frauen von natürlicher Klugheit und Tatkraft gekannt, die fest glaubten, die Welt könne durch fallweise Betätigung zwingender persönlicher Rechtschaffenheit verbessert werden«, und sie bezog diese Worte auf sich. Sie zuckte die Achseln, zweifelte, ob sie recht habe oder der Schriftsteller Bernard Shaw. Hessreiter ließ herauftelefonieren, ob sie fertig sei. Sie zog sich an, ohne Eile.
    Sie war sich auf einmal klar. Sie war in einer Zeit des Wartens und konnte nicht anders leben, als sie tat. So gewiß das Abendessen sein wird, für das sie sich anzieht, so gewiß wird ein Ereignis kommen, das rechte, sinnbringende, für das sie sich bereit hält.
    Sie aßen in einem kleinen Seitenraum des berühmten Restaurants Orvillier. Herr Hessreiter hatte Geschenke für Johanna mit viel Geschmack ausgewählt, hatte auch das Diner mit besonderer Sorgfalt zusammengestellt. Sie aßen gewürzte und anregende Vorspeisen, Brühen, Fische, Muscheln, Fleisch von Haustieren, von Wild und Geflügel, Früchte des Bodens und der Bäume, Gerichte aus Ei, Milch und Zucker. Die Gerichte waren mit einer in Jahrhunderten erlernten Kunst zusammengestellt, mit vieler List verfeinert, die Bestandteile aus manchem Winkel der Welt mit großer Arbeit herbeigeschafft. Herr Hessreiter aß nicht viel, doch

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