Erfolg
verzotteltem, schwarzem Haar das gelbbraune Gesicht der Haushälterin Agnes nach, angespannt, leidenschaftlich, wie sie fest und kräftig in dem gutsitzenden, rahmfarbenen Kostüm durch die Junisonne schritt.
Dr. Geyer saß erbarmungswürdig schlaff an dem mit Zeitungen unordentlich überdeckten Tisch. Dieses Mädchen Krain war viel zu gut für den Krüger. Dieses Mädchen Krain, trotzdem sie Bayrin war mit breitem, bayrischem Gesicht und unverkennbarem, breitem, bayrischem Dialekt, hatte eine gewisse Ähnlichkeit. Aber er wollte ja nicht daran denken, an den Jungen nicht, an die Mutter des Jungen nicht. Sie war tot, die ganze Geschichte war abgelebt, erledigt.
Er stand auf, mit einem kleinen Ächzen. Sah, daß er seinen Anzug sehr besudelt hatte. Schellte. Die Haushälterin Agnes stürzte herein. Er schrie sie an, wenn man sie nicht brauche, schnüffle sie herum, wenn man sie brauche, sei sie nicht da. Sie mit ihrer nervösen Stimme quäkte zurück, machte viele Worte. Jetzt endlich solle er doch wenigstens den richtigen Anzug anziehen, den sie bereitgelegt habe. Aber er hörte sie schon nicht mehr, setzte sich hin, kritzelte Notizen oder vielleicht auch nur Schnörkel auf den Rand einer Zeitung.
Noch als die Haushälterin längst wieder weg war, saß er so. Die Augen schmerzten ihn, er hielt die leicht entzündeten Lider geschlossen unter der dicken Brille. Er sah alt und müde aus und konnte trotz aller Selbstdisziplin nicht verhindern, daß er, dachte er an die Zeugin Krain, mitdachte an eine gewisse Ellis Bornhaak, eine Norddeutsche, verstorben vor längerer Zeit.
9
Politiker der bayrischen Hochebene
Obwohl der schöne Sonntag viele an die Seen und in die Berge führte, war die Tiroler Weinstube an diesem Junivormittag dicht gefüllt. Man hatte alle Fenster der Sonne geöffnet, aber es blieb angenehm dämmerig in dem großen Raum. Dick lag der Rauch der Zigarren über den massiven Holztischen. Man aß kleine, knusperig gebratene Schweinswürste oder lutschte an dicken, safttriefenden Weißwürsten, während man kräftige Urteile über Dinge der Kunst, der Weltanschauung, der Politik äußerte.
Es kamen am Sonntagvormittag vornehmlich Politiker in die Tiroler Weinstube. Sie saßen da im schwarzen Sonntagsrock, großspurig. Bayern war ein autonomer Staat: bayrischer Politiker sein, das war etwas.
Zerfiel nämlich damals Europa in zahlreiche souveräne Einzelstaaten, von denen einer das Deutsche Reich war, so zerfiel dieses Reich wiederum in achtzehn Bundesstaaten. Diese sogenannten Länder , an ihrer Spitze das Land Bayern, wachten, wiewohl sie ihrer wirtschaftlichen Struktur nach längst Provinzen waren, eifersüchtig über ihre Eigenstaatlichkeit. Hatten ihre Tradition, ihre historischen Sentiments, ihre Stammeseigentümlichkeiten , ihre Sonderkabinette. Achtzig Minister, 2365 Parlamentarier regierten in Deutschland. Die hochbetitelten Herren der Länderregierungen, diese Staatspräsidenten, Staatsminister, Landtagsabgeordneten, wollten nicht verschwinden oder bestenfalls Provinzialbeamte werden. Sie wollten es nicht wahrhaben, daß ihre Länder zu Provinzen des Reichs herabglitten, sie sträubten sich dagegen, sie redeten, regierten, verwalteten, um ihre staatspolitische Eigenbedeutung zu erweisen. Die bayrischen Minister und Parlamentarier waren in diesem Kampf der Länder gegen das Reich die Führer. Fanden für die Autonomie der Bundesstaaten die saftigsten Worte. Kamen besonders großspurig daher.
Ein Abglanz dieser Bedeutung fiel auch auf die Herren von der Opposition, die Parteifreunde Dr. Geyers, trotzdem die den bayrischen Partikularismus programmatisch bekämpften. Auch sie, infolge der politischen Struktur des Deutschen Reiches, saßen gewissermaßen im Nabel der großen Politik, sie fühlten sich wichtig, und diese Sonntagvormittage in der Tiroler Weinstube waren große Zeit für sie.
Sie saßen, die Politiker der Opposition, nicht in dem kleinen, etwas teureren Nebenzimmer, sondern betont volkstümlich in dem menschengestopften Hauptlokal. Fremd, schmal, mit zerarbeitetem Gesicht saß Dr. Geyer zwischen den Führern seiner Fraktion, den Herren Josef Wieninger und Ambros Gruner. Er hatte sogleich ins Nebenzimmer gespäht, wo häufig der Justizminister saß. Aber er hatte nicht den Klenk, nur den massigen Dr. Flaucher entdecken können. Leicht enttäuscht jetzt, daß der Feind nicht da war, und doch in seiner Müdigkeit froh, nicht kämpfen zu müssen, saß er, trank hastig und ohne Genuß
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