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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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gefährden, indem er zu große Pausen in die Arbeit einschiebt.
    Als die larmoyant heisere Stimme seiner Haushälterin Agnes ihn weckte, riß er sich mit Willensanspannung und ungern gehorchenden Gliedern aus dem Bett. Im Bade dann erlaubte er sich gelöste Gedanken, entspannt der scharfen Logik, zu der er sich diszipliniert hat.
    Wußte man von den Mühen, mit denen er seine berühmte überlegene Ruhe, seine klare Energie täglich neu wieder ankurbeln, speisen, in Betrieb halten mußte? War er nicht im Grunde von kontemplativer Art, ungeeignet für solch überhitzte Aktivität? Schön wäre es, sich aufs Land zurückzuziehen, des Berufs und des politischen Betriebs ledig, sich auf theoretische Schriftstellerei über Politik zu beschränken.
    Wird er heute Ruhe finden, um weiterzuarbeiten an der »Geschichte des Unrechts«? Es ist verdammt schwer, die Gedankenvon dem Manne Krüger und von sich selber loszukriegen. Einmal, wenn das Buch etwas werden soll, muß er doch hier Schluß machen und sich auf ein paar Monate in die Stille retten.
    Ach, er wußte, wie ein solcher Versuch ausgehen würde. Leise schaukelnd in dem warmen Wasser, ein fatales Lächeln um die dünnen Lippen, dachte er an frühere Bemühungen, dem aufreizenden Betrieb ringsum zu entfliehen. Immer nach zwei Wochen ländlicher Stille sehnte er sich nach seiner Post, nach Zeitungen, nach juristischen, politischen Konferenzen. Sehnte sich danach, im Gerichtssaal, auf der Tribüne des Landtags zu stehen und in Gesichter zu schauen, die an seinem Mund hingen. So genau er wußte, daß solche Wirkungen Schein waren, es war zu schwer, auf sie zu verzichten.
    Der Anwalt Dr. Geyer schaukelte in der Wanne, seine Glieder schwammen mild in dem grünlich hellen Wasser. Er dachte an das Buch »Recht, Politik, Geschichte«, das große Buch, das er einst schreiben wird. Er dachte liebevoll an einige Formulierungen, die er gefunden hatte und die ihm geglückt schienen, schloß die Augen, lächelte. Seit seiner Studentenzeit hatte er sich damit befaßt. Er wußte, »Recht, Politik, Geschichte« wird ein gutes Buch werden, es wird mehr und Wichtigeres darin stehen, als er jemals vor einem Tribunal oder im Parlament wird sagen können. Es wird auch auf bessere Leute wirken als auf Richter und Abgeordnete, vielleicht sogar gelangt es einmal an einen, der seine Gedanken in Taten umsetzt. Er hatte Material gesammelt, gesichtet, geordnet. Er schichtete es um, Jahr um Jahr, verwandelte Pläne und Grunddisposition. Schob die eigentliche Arbeit, die den ganzen Mann verlangte, hinaus. Machte sich schließlich an das kleinere Buch, an die »Geschichte des Unrechts im Lande Bayern«, seine Selbstvorwürfe einschläfernd mit der flauen Rechtfertigung, dies sei nur Vorarbeit zu dem großen Werk. Aber heimlich, nicht jetzt im Bade, doch in ruhigen Minuten der Erkenntnis, wußte er, daß er das große Werk nie wird schreiben können, daß er zeitlebens hin und her hetzen wirdzwischen kleiner Tagespolitik und Advokaterei, seine große Aufgabe lächerlich umsetzend in zwergige Geschäftigkeit.
    Der Rechtsanwalt Dr. Siegbert Geyer rieb sich die dünne, sehr weiße Haut mit kalter Gummibürste, frottierte sich. Seine Augen bekamen ihren scharfen, zupackenden Glanz. Theoretische Spintisiererei. Albern. Es tat nicht gut, so lange im warmen Wasser zu liegen. Er hatte seinen Kopf zusammenzunehmen, sich mit dem Angeklagten Krüger zu befassen.
    Das sanguinische, undisziplinierte Wesen des Krüger war ihm zuwider. Allein so unlieb ihm gerade dieses Objekt der Rechtsbeugung war, so aussichtslos die Verteidigung des Rechts war gegen einen Staat, der Recht nicht wollte, dennoch tat es wohl, Zeugnis abzulegen, etwas zu tun, einen Einzelfall weithin sichtbar ins scharfe Licht zu stellen.
    Er frühstückte hastig, unachtsam, große Brocken in den Mund schiebend, heftig kauend. Die Haushälterin Agnes, knochig, mit gelbem Gesicht, ging ab und zu, schimpfte auf ihn ein, er solle langsam essen, so bekomme es ihm nicht. Auch hatte er natürlich wieder den alten, unmöglichen Anzug an; den neuen, den sie ihm bereitgelegt hatte, hatte er übersehen. Er saß in unschöner, unbequemer Haltung, hörte sie nicht, kaute, besabberte seine Kleider, überflog die Zeitungsberichte, die sein Bürovorsteher ihm angestrichen überschickt hatte. Schon hatte er wieder die raschen, nüchternen, erkennerischen Augen wie im Gerichtssaal. Mehrere Zeitungen brachten sein Bild. Er beschaute das Bild, die dünne, gekrümmte

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