Erfolg
die in diesem Boden wurzelten. Und er ließ ab von dem Rechtsanwalt, mit beinahe mitleidiger Verachtung, und blickte dem Abgeordneten Wieninger stumpf und treuherzig ins Auge. Dann wandte er den gleichen Blick dem Abgeordneten Gruner zu, mit biederer Mahnung. Ehrwürdig sei dergreise Forscher Kahlenegger, sagte er schließlich, ehrwürdig, und alle schauten hinüber, wo der alte Mann saß. Der Abgeordnete Wieninger nickte, verlegen, leicht ergriffen, der Abgeordnete Ambros Gruner warf dem Dackel des Ministers mit verträumter Bewegung eine Wursthaut zu.
Und plötzlich fühlte sich der Anwalt Dr. Geyer sonderbar allein. Kahlenegger und sein Elefant: über alle politischen Antipathien hin gehörten der reaktionäre Minister, der reaktionäre Schriftsteller und die oppositionellen Abgeordneten zusammen, vier Söhne der bayrischen Hochebene, und der jüdische Anwalt saß fremd, störend, feindlich dazwischen. Er sah, daß sein Anzug abgetragen und besudelt war, und schämte sich. Rasch verließ er und unbehilflich den Raum. Aus dem großen Bierlokal von jenseits des Platzes scholl gefühlvoll und mit viel Blechmusik die alte Stadtweise herüber von der grünen Isar und der nie aufhörenden Gemütlichkeit. Die Kassierin Zenzi, trotzdem er ihr ein reichliches Trinkgeld gegeben hatte, fand, während er sich so fluchtartig entfernte, er sei ein zuwiderer Kerl und passe eigentlich nicht hierher. Und sie goß behutsam dem halb schlafenden Geheimrat Kahlenegger neuen Wein ins Glas.
Die Kanzlei, bestimmt für viele Menschen, erfüllt sonst von hin und her rennenden Angestellten und dem Geknatter der Schreibmaschinen, lag heute in der Stille des Sonntags trist und leblos. Der Geruch von Akten, Rauch, toten Zigarren war in der Luft. Die scharfe Sonne beleuchtete jedes Stäubchen in dem kahlen Raum und lag prall auf dem nicht aufgeräumten, mit Asche überstäubten Schreibtisch. Der Anwalt holte ächzend das umfängliche Manuskript hervor, zündete sich eine Zigarre an, sah alt, seine dünne, blaßrosige Haut zerknittert aus in dem grellen Licht. Und er schrieb, stellte dar, reihte Daten und Ziffern aneinander, belegte aktenmäßig jene vielfältige Geschichte des Unrechts im Lande Bayern in dem von ihm behandelten Zeitabschnitt. Er schrieb, rauchte, die Zigarre ging aus, er schrieb. Sachlich, nüchtern, eifrig, hoffnungslos.
10
Der Maler Alonso Cano (1601–1667)
Um die gleiche Zeit saß der Mann Krüger in der Zelle 134. Vor sich aufgestellt hatte er in einer guten Reproduktion das Selbstbildnis des spanischen Malers Alonso Cano aus dem Museum von Cádiz. Es wäre nicht schwer gewesen, über dieses Selbstbildnis manches Einprägsame zu sagen. Der indolente Idealismus des Mannes, sein gefälliges Talent, das ihm die Arbeit zu leicht machte, so daß er faul niemals bis an seine Grenzen ging, die unsolide, dekorative Leerheit, es war nicht ohne Reiz, darzutun, wie das alles in dem gepflegten, eleganten, nicht unbedeutenden Kopf sich ausdrückte. Aber Martin Krüger rundeten sich die Sätze zu leer und bequem, das Bild steckte an, er fand nicht den Punkt Ruhe und Kraft, von dem aus er ernsthaft den Mann und sein Werk hätte machen können.
Die kleine Zelle sah heute in dem scharfen Licht besonders kahl und nüchtern aus. Der Mann Krüger dachte an die Stadt Cádiz, die mitten im Meer scharf und weiß in der Sonne lag. Er fühlte sich nicht schlecht, aber nüchtern, unbeschwingt. Tisch, Stuhl, die hochgeklappte Bettpritsche, der weiße Kübel, dazwischen der elegante Kopf des Malers Cano mit dandyhaft gepflegtem, blondem Bart auf einer dekorativen, rostroten Hintergrundsauce. Er sagte sich nachdenklich, es sei wohl gleichgültig, vor welchem Hintergrund man stehe. Ob vor einer grauen Zellenwand oder vor einem solchen Bilde oder vor solchen Sätzen, wie er sie gerade schrieb.
Kaspar Pröckl wurde hereingeführt. Der junge Ingenieur schaute aus tiefliegenden, brennenden Augen mißbilligend auf das Bild des Alonso Cano. Er hatte Verständnis für die einfühlsame Art, wie Martin Krüger seinen Eindruck und sein Erlebnis eines Bildes weitervermitteln konnte. Aber er war überzeugt, sein begabter Freund sei auf falschem Weg.Er, Kaspar Pröckl, sah die Aufgabe der Kunstwissenschaft in dieser Epoche in ganz andern Dingen. Angefüllt von den Theorien des Jahrzehnts, die in der Wirtschaft Basis und Mitte alles Weltgeschehens sahen, war er überzeugt, die Kunstwissenschaft müsse zunächst einmal die Funktion der Kunst in einer
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