Erfolg
sozialistischen Gesellschaft erforschen. Der Marxismus hatte, denn er hatte Wichtigeres zu tun, verzeihlicherweise keine Vorstellung dieser Funktion geschaffen. Hier lag die Bedeutung der Kunstwissenschaft in diesem Jahrzehnt, daß sie, zum erstenmal seit ihrem Bestehen erlöst aus trockenem Herbarismus, in Verbindung mit der Staatswissenschaft lebendig werden, der Kunst des proletarischen Staates den Boden urbar machen konnte. Er, jung, brennend, voll tatwilligen Kunstverstandes, mühte sich, dem Manne Krüger, den er liebte, den rechten Weg zu zeigen.
Daß da das Selbstporträt des Alonso Cano stand, ärgerte ihn sehr. Er hatte das Mißgeschick des Krüger, in das Getriebe der bayrischen Politik zu fallen, bedauert. Dann aber war es ihm fast willkommen; denn er hoffte, Martin Krüger werde, die Widerwärtigkeit des heutigen Zustandes so leibhaft an sich spürend, aus seinem Genießertum aufgeschreckt, zu ihm herüberfinden. Finster also aus hagerm, unrasiertem Gesicht zwischen starken Jochbogen starrten seine tiefliegenden Augen auf das Bild. Aber er sagte nichts. Kam vielmehr sogleich auf den Zweck seines Besuchs. Der Chef der Bayrischen Kraftfahrzeugwerke, wo er angestellt war, der Baron Reindl, war ein zuwiderer Bursche; aber er interessierte sich für Kunstdinge. Er war von großem Einfluß. Vielleicht konnte Kaspar Pröckl ihn dazu bringen, für Krüger zu intervenieren. Der Mann Krüger versprach sich nicht viel davon. Er kannte Herrn von Reindl und hatte den Eindruck, daß der ihn nicht recht leiden mochte. Sehr bald, wie oft bei ihren Gesprächen, gerieten Martin Krüger und Kaspar Pröckl von ihrem unmittelbaren Gegenstand ab, erörterten angeregt Möglichkeiten und Wirklichkeiten der Kunst im bolschewistischen Staat. Als die Besuchszeit Kaspar Pröckls abgelaufenwar, mußten sie in zwei Minuten eilig das Notwendigste über die Schritte besprechen, die Kaspar Pröckl für Krüger unternehmen sollte.
Der junge Mensch gegangen, fühlte sich Krüger ungewohnt frisch und lebendig. Mit einer Handbewegung wischte er die Reproduktion des Bildes vom Tisch. Er brachte einige Gedanken zu Papier, die die Unterredung in ihm geweckt hatte. Das Wichtigste war ihm natürlich hernach erst eingefallen. Er lächelte: das war kein schlechtes Zeichen. Er schrieb frisch, männlich, überzeugend, wie es ihm selten glückte. Er war so eifrig bei der Arbeit, daß er erst, als der Wärter ihm das Abendessen hereinstellte, wieder daran erinnert wurde, wo er war.
11
Der Justizminister fährt durch sein Land
Am gleichen Sonntag fuhr der Minister Otto Klenk durch das grün und gelbe bayrische Alpenvorland den Bergen zu. Der wuchtige Mann fuhr nicht übermäßig rasch. Leichter Wind ging, durch die Fahrt zu guter Kühlung verstärkt; die Straßen waren kaum staubig. Der Wagen fuhr in einen dichten Wald hinein. Klenk, in derbstoffiger Gebirgstracht, überließ sich der Freude an der raschen Bewegung.
Das rotbraune Gesicht und die starken Glieder entspannt, lenkte er, die Pfeife im Mund, in einer für diesen Landstrich ungewohnt lockeren Haltung seinen Wagen. Schön war das Land, fest und greifbar stand alles in der klaren, kräftigen Luft. Es war gut, in dieser kräftigen Luft zu leben, man machte sich keine überflüssigen Gedanken, es ging den ganzen Tag holperige Wege bergauf, bergab, man mußte mit dem Atem haushalten. Wind, Schnee, Sonne gerbten Haut und Seele. Klenk hatte seinen Jäger bestellt, er wird einen Gang durch das Revier machen. Er freute sich auf die derbe Kost, die Veronika ihm vorsetzen wird. Übrigens muß er sichnächstens einmal nach seinem und ihrem Sohn umsehen, dem Simon, den er in die Bank von Allertshausen gesteckt hat. Der war ein rechter Rotzbub, der seiner Umwelt zu schaffen machte. Ihm, Klenk, gefiel das. Die Veronika war ein umgängliches Weiberts, daß sie ihm nicht in den Ohren liegt wegen des Bams. Überhaupt hat er sich das gut eingerichtet. Seine Frau, die dürftige, vertrocknete Geiß, stört ihn nicht, ist froh, wenn er sie mit einer Art jovialen Mitleids behandelt.
Der Wagen glitt einen schönen, langgestreckten See entlang. Hügelige Ufer, dahinter die heitere Linie der Berge.
Ein komfortabler Tourenwagen überholt ihn. Eine Gesellschaft exotischen Aussehens sitzt darin. Viele Fremde fahren jetzt durchs Land. Er hat einen Aufsatz gelesen unlängst, der sich intensivierende Verkehr müsse notwendig so etwas wie eine neue Völkerwanderung zur Folge haben. Der schwerbewegliche, seßhafte Typ
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