Erfolg
Lieber, da kennen wir keinen Genierer.
Der geschreimäulige Flaucher natürlich war ein Esel. Es war ein Skandal, daß bloß die Dummköpfe ins Kabinett gingen. Dabei waren gute Leute da. Er hätte drei, vier Namen nennen können. Warum hatte er nicht Männer zu Kollegen wie etwa den alten, feinen Grafen Rothenkamp, der auf seinem Schloß in den Bergen des Chiemgaus hockt, still, vorsichtig, ab und zu nach Rom fährt, mit den Diplomaten des Vatikans leise Politik machend, manchmal nach Berchtesgaden zu dem Kronprinzen Maximilian? Warum darf der Reindl so im Schatten bleiben, der Mann der Bayrischen Kraftfahrzeugwerke, der durch seine Verbindung mit dem großen Ruhrkonzern die Industrie des Landes beherrscht? Von dem Dr. Bichler ganz zu schweigen, dem schlauen Bauernführer,dem alten Fuchs, der von nichts weiß, es nie gewesen ist, nie was gesagt hat. Aber wehe dem Minister oder dem Abgeordneten, der was tut oder sagt ohne seine Direktiven. Natürlich, diese, die wirklichen Bonzen, halten sich zurück, bleiben unsichtbar. Die Verantwortung müssen die andern übernehmen, brave Leute, etwas beschränkt, um Gottes willen nicht zu selbständig.
Da war das Gut des Toni Riedler. Der hat sich auch aus der offiziellen Politik zurückgezogen. Hat stark drauflosgelebt, solange er bayrischer Diplomat war, hat sich dann im Krieg und nachher gesund gemacht, weiter gut gewirtschaftet. Jetzt ist er üppig geworden, hat das dritte Auto, einen schönen, italienischen Wagen, eine ganze Kompanie unehelicher Kinder, macht sich den Spaß, illegale Verbände zu organisieren, daß er, Klenk, es schwer hat, die Augen zuzudrücken. Ein bißchen dick geben wir es in unserem klerikalen Oberbayern mit den unehelichen Kindern: wir haben einen höheren Prozentsatz als das übrige Mitteleuropa. Ein Pech hat der Krüger, daß er sich einsperren lassen muß, weil er mit einer Frau geschlafen hat. Es ist schon eine Sauarbeit, offizielle bayrische Politik zu machen; die andern, die die wirkliche, heimliche machen, haben es schöner. Auch die Zahl der Roheitsverbrechen ist nach der letzten Statistik südlich der Donau immer noch höher als irgendwo sonst im Reich. Wir können uns sehen lassen mit unserer Kriminalität; das sind Ziffern, die sich gewaschen haben. Vital sind wir, da fehlt sich nichts.
Hoppla. Jetzt hätte er fast den Radler niedergefahren. Er hatte neunzig Kilometer auf dem Schnelligkeitsmesser. »Mach deine Ochsenaugen auf, Aff, geselchter!« rief er dem erschrockenen Radfahrer die landesübliche Formel zu, zurückschimpfend. Am besten kommt man mit den Hunden aus. Die Radfahrer sind das Idiotischste, was es gibt. Er lächelt, wie er daran denkt, daß von allen Städten Deutschlands München den größten Prozentsatz Radler hat. Das wäre ein Gaudium und eine Hetze in der ganzen Oppositionspresse, wenn er einmal das Pech hätte, einen zu überfahren.
Die neue Ausgabe der »Rechtsphilosophie« hätte er sich mitnehmen können. Er pflegte auf dem Anstand zu lesen, und für Fragen der Rechtsphilosophie interessierte er sich. Er wußte gut Bescheid über die verwickelten Probleme von Heteronomie und Autonomie, von Legalität und Moralität, von organischer Theorie und Vertragstheorie. Verblüffte manchmal das Parlament durch ein abgelegenes, schlagendes theoretisches Zitat. Er kann es sich leisten, sich mit Problemen zu befassen. Es ist sehr unterhaltend. Eine Gaudi. »I-de-o-lo-gischer Überbau«, sagt er vor sich hin in den kleinen Wind, grinsend, die Silben auskostend, und gibt mehr Gas. Theorien hin, Theorien her: er ist der Gesetzgeber, vor dessen berichtigendem Wort nach dem berühmten Satz ganze Bibliotheken zu Makulatur werden.
Ein ekelhaftes Gefrieß hat dieser Geyer. So ein Krampfbruder, so ein zuwiderer. So ein hysterischer Gschaftelhuber. Auch mit dem Toni Riedler wird er einmal zusammenrücken. So ein Knallprotz. Ja, die Rechtsphilosophie. Ein weites Feld. Er, Klenk, tut nicht recht, nicht unrecht. Er ist eingesetzt, zu verhüten, daß Volksschädliches ins Land kommt. Er tut, was der Tierarzt, der Maßnahmen gegen die Klauenseuche anordnet.
Der Wind hat zugenommen. Gleich nach dem Essen wird er mit seinem Jäger, dem Alois, zur Gschwendthütte gehen. Er gibt Gas, nimmt die Mütze ab, läßt die wehende Luft über den spärlich bewachsenen Schädel streichen. Fährt durch sein Land, Pfeife im Mund, zufrieden, mit Appetit, wachsam.
12
Briefe aus dem Grab
Am Tage darauf spielte der Staatsanwalt seinen großen Coup aus und
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