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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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beantragte die Verlesung gewisser Schriftstücke aus dem Nachlaß des toten Mädchens Anna Elisabeth Haider. Diese Schriftstücke hatte die Gerichtsbehörde beschlagnahmt,unmittelbar nach der Vergiftung des Mädchens, und niemand kannte sie außer den Gerichtspersonen.
    Ein Beamter der Gerichtsschreiberei verlas die Schriftstücke. Es waren Teile eines Tagebuchs und nicht abgeschickte Briefe. Sie waren aus der willkürlichen Handschrift der Toten, die mit sehr spitzer Feder und violetter Tinte auf beliebige Papierfetzen zu schreiben pflegte, in ein Maschinenmanuskript übertragen worden, vorsichtshalber, damit der Schreiber bei der Verlesung zurechtkomme. Aus dem Munde dieses Gerichtsschreibers, einem kindlichen, gutmütigen Mund mit einem erfolglos auf Flottheit aspirierenden Schnurrbärtchen, erfuhren Richter, Geschworene, Journalisten, Publikum, erfuhr der Verteidiger Dr. Geyer und erfuhr der Mann Krüger selbst zum erstenmal diese aus dumpfer Seele für ihn herausgeschleuderten Dinge. Der Gerichtsschreiber hatte zwar die Schriftstücke schon vorher einmal überlesen, um sich bei der öffentlichen Verlesung nicht zu blamieren. Immerhin handelte es sich hier um für ihn ungewohnte Dinge, auch fühlte er sich durch die allgemeine Aufmerksamkeit zwar wichtig, doch gehemmt, er schwitzte leicht, las stockend, unter mannigfachem Räuspern, mundartlich untermalt. Es fiel dem Angeklagten Krüger nicht leicht, als er diese ihn anrührenden schweren Sätze aus diesem Mund und in dieser Lage zum erstenmal hörte, das Gesicht so unbewegt zu halten, wie es angemessen gewesen wäre.
    Der Staatsanwalt hatte aus der Fülle des Materials zwei Tagebuchstellen und einen angefangenen Brief ausgewählt. In einem drückenden Stil, wie er der Malerei der Toten entsprach, war darin von dem Manne Krüger die Rede. Schamlos, umständlich und unmittelbar sich übertragend war geschildert, wie seine Berührung auf die Schreibende einwirke. Seine Finger, sein Mund, seine Muskeln. Es war ein dumpfiger Brand in den Worten, eigentümlich gemischt mit der Luft katholischer Vorstellungen, wohl aus der klösterlichen Erziehung des Mädchens herrührend, das Ganze voll von dunkler, immer wieder gekapselter und immer wieder durchbrechender Sinnlichkeit.Es waren ungewohnte Worte, eingesperrte, tierische Schreie. Schwer greifbar, manchmal im Munde des Gerichtsschreibers geradezu komisch. Aber keinesfalls klangen diese Konfessionen so, als ob von kameradschaftlichen Beziehungen die Rede sei.
    Das Auditorium sah nach den Händen des Angeklagten, von denen viel die Rede war, nach seinen Lippen, nach dem Manne Krüger. Das üble Gefühl außerordentlicher Schamlosigkeit, das einige überkam, als die privaten Aufzeichnungen einer Toten ins Licht des Gerichtssaals vor vielen Ohren dem Manne ins Gesicht gestellt wurden, erstickte in der großen Sensation. Wie man wohl einem Boxer zusah, der in der letzten Runde keuchend die schwersten Schläge des Gegners empfängt, ob er aufrecht bleibt, so wartete man auf den Niedergang des Mannes Krüger unter diesen Aufzeichnungen. Der Rechtsanwalt Dr. Geyer, die blauen Augen scharf auf dem Mund des Schreibers, die Lippen streng versperrt, konnte doch nicht hindern, daß immer wieder eine rasche Röte seine mühsam festen Wangen überflog. Er verwünschte die dumpf poetische Ausdrucksweise des toten Mädchens, die jedem Gegner die Möglichkeit gab, aus ihren Worten herauszulesen, was ihm nützlich war. Er bemerkte gut die starke Wirkung auf Gericht, Publikum, Presse; es war ein Volltreffer, den der Staatsanwalt da abgefeuert hatte, unleugbar. An den Mienen auch der Wohlwollenden sah man, wie der Glaube an die Zweideutigkeit der Beziehungen des Mannes Krüger zu der Toten von Wort zu Wort fester wurde.
    Am Schluß ließ der Staatsanwalt einen angefangenen und nie abgesandten Brief des toten Mädchens verlesen. Ihr ganzer Leib, hieß es, sei rauchendes Feuer, wenn Martin nicht da sei; sie laufe im Regen herum, sie könne nicht atmen. Ihre Malerei liege unvollendet da, sie stehe stundenlang vor seiner Wohnung und vor der Staatsgalerie. Sie wisse, daß er sie nicht mit der wilden Frömmigkeit begehre wie sie ihn. Nur wenn sie unter ihm verlösche, könne sie atmen. Wenn sie ihn auf der Treppe höre, würden ihr die Knie schwach. Aber es vergingenviele Tage, bis er komme. Sie zwinge sich zu arbeiten, aber es gehe nicht, Traurigkeit und Begierde reiße ihr jedes Gesicht aus der Hand. Müde, mit heißen Händen und trockenem

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