Erfrorene Rosen
stellen.
»Also: warum?«, hakt er nach.
Wieder diese Frage. Warum? Warum denn bloß? Warum ausgerechnet zur Polizei? Das haben ihn Freunde gefragt, Verwandte, die anderen Polizeischüler, die Lehrer, sogar der Hausmeister der Polizeischule hatte Muße genug, sich danach zu erkundigen. Olli muss beinahe lachen. Bildet dieser unselige Mensch sich tatsächlich ein, eine Begründung verdient zu haben? Damit liegt er schief.
»Ich weiß es nicht«, versetzt Olli kurz und bündig.
Sein Vater sieht ihn unzufrieden an; er weiß, dass er die schlechteste aller Antworten bekommen hat. Ein Kreuzverhör stellt er denn doch nicht an, schnaubt nur zum Zeichen seiner Unzufriedenheit. Im selben Moment bemerkt er den Bilderrahmen auf der Fensterbank und errät zweifellos, dass der Rahmen etwas Interessantes enthält, etwas Vorzeigenswertes. Aber Olli macht keine Anstalten, das Bild umzudrehen. Sein Vater sieht ihn an und begreift, dass sein Besuch sofort beendet ist, wenn er auch nur ein Wort über das Bild verliert.
»Ach ja, der Grund, weshalb ich hier bin«, beginnt er und lässt den Blick durch die winzige Wohnung schweifen. »Das Haus steht leer. Außer mir wohnt da keiner. Allemal besser als das hier.«
Olli sucht fieberhaft nach einer Ausrede, um das Angebot abzulehnen. Aber es fällt ihm nichts Vernünftiges ein. Hilflos stottern wird er jedenfalls nicht.
»Du brauchst natürlich nicht sofort umzuziehen, wenn du noch nicht magst«, hilft ihm der Vater überraschend aus der Situation. »Überleg’s dir. Es wäre schön, wenn du kämst. Wir passen wohl noch beide unter ein Dach.«
Der versöhnliche Ton verwirrt Olli. Er passt ganz und gar nicht zu seinem Vater. Olli sucht misstrauisch nach der Falle, die irgendwo lauern muss. Und was soll das heißen: unter ein Dach passen? Als hätten sie je irgendwo gemeinsam Platz gefunden. Ha! Kein Raum ist groß genug, Vater, Sohn und unheiligen Geist gleichzeitig zu beherbergen.
»Tja. Ich geh dann wohl jetzt. Wie war übrigens dein erster Tag?«, fragt der Vater und rückt die tadellos sitzende Krawatte zurecht.
»Na ja, es gab allerhand. Eine Bombendrohung und dergleichen«, antwortet Olli mit leiser Schadenfreude. Immerhin hat er schon jetzt etwas Dramatisches zu berichten.
»Ich weiß. Ich war schon da«, sagt der Vater gleichgültig, als wäre an der Geschichte nichts Besonderes.
»Du warst da?«
Der Vater sieht ihn stechend an. »Natürlich. Die sind bei uns versichert. Du weißt doch, dass ich Versicherungsinspektor bin.«
Es ist Olli klar, dass sein Vater ihm die zustimmende Antwort im Gesicht abliest. Es stimmt schon, auch Olli hat das Treiben seines Vaters beobachtet. Ohne es eigentlich zu wollen.
Der Vater überlegt eine Weile. Ganz offenbar geht ihm etwas im Kopf herum, das unbedingt herauswill.
»Da habt ihr eine harte Nuss zu knacken«, sagt er schließlich geheimnisvoll.
»Eine harte Nuss? Was soll an einem dummen Streich denn so schwierig sein?«
»Ihr glaubt also, das wäre bloß ein böser Streich gewesen?«, fragt der Vater mit Nachdruck, geradezu mit Inbrunst, als hätten Olli und die anderen Polizisten von nichts eine Ahnung. »Dann glaubt mal schön weiter.«
»Wieso? Wie meinst du das?«
Der Vater antwortet nicht. Er hat Olli ins Grübeln gebracht, das genügt ihm. Olli begreift, dass er reingelegt worden ist. Sein Vater hat offenbar den unbezwinglichen Drang, sich selbst und seine Fähigkeiten an allen Fronten zu demonstrieren und Olli damit völlig abzuqualifizieren. Als wüsste er etwas, was die anderen nicht wissen. Eine hinterhältige Art klarzustellen, wer der Herr im Haus ist. So war es immer schon. Die anderen sind nichts, er ist alles.
Olli kneift wütend die Augen zusammen. Es ist sonnenklar, dass sein Vater ihn dazu bringen will, sich vor ihm kleinzumachen. Dass er unter Einsatz seiner geheimnisvollen Informationen mit ihm spielen will. Aber dazu wird es nicht kommen. Eher friert die Hölle zu. Olli lässt das wirre Geschwafel seines Vaters instinktiv auf sich beruhen.
Endlich nickt der Besucher zum Abschied und geht zu der immer noch offen stehenden Tür, wobei er über die Koffer und die Wurfpost hinwegsteigen muss.
Im selben Moment fällt Olli etwas ein: das Schloss!
Die Tür fällt zu, bevor er auch nur die Hand heben kann. Er steht stocksteif da und starrt sie an, beschließt aber, nicht um Hilfe zu rufen.
Drittes Kapitel
Ein kleines Gleitflugzeug mit Schaumgummiflügeln und einem Körper aus Plastik schwebt vom Balkon
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