Erfrorene Rosen
wenn es nur zwei Etagen hat und inzwischen verwittert ist, besitzt es immerhin so viel kulturellen Wert, dass das Bauamt sich dem Willen einer höheren Instanz hat beugen und das Gebäude unter Denkmalschutz stellen müssen. Mehr noch: Dem Bauunternehmen, das gleich daneben Betonpaläste hochziehen will, wurde zur Auflage gemacht, das alte Haus zu restaurieren.
Olli steht geduldig hinter der Absperrung und betrachtet die Spuren der Explosion, während der kalte Herbstwind seinen verkaterten Körper peitscht. Er weiß genau, was dieses Haus empfindet, fühlt sich ihm verwandt – schmerzerfüllt und krank, als wäre in seinem Innern gerade eine Ladung Sprengstoff detoniert und der ganze Dreck, der unter der Haut verborgen liegt, wäre mit unwiderstehlicher Kraft aus ihm herausgeschleudert worden.
Geräuschvoll zieht Olli den Tropfen hoch, der ihm an der Nasenspitze hängt.
Tossavainen tritt zu ihm und fragt: »Was ist hier wohl passiert?«
In Anbetracht der Umstände könnte man den Verdacht hegen, dass es der Bauunternehmer ist, der das größte Interesse daran hat, diesen verkommenen alten Kasten in Schutt zu verwandeln. Es gibt wohl keine kostspieligere Art des Bauens als die Sanierung eines alten – vor allem eines wirklich alten, mit anderen Worten unter Denkmalschutz stehenden – Gebäudes. Doch Tossavainen und Olli ziehen keine übereilten Schlüsse. Wenn der Bauunternehmer das Haus in Stücke sprengen wollte, würde er es auch schaffen, das wissen sie. Solche Leute kennen sich schließlich mit Bauten und ihrer Zerstörung aus. Das Interesse muss folglich ganz woanders liegen.
Olli sieht in dem alten Haus nicht nur sich selbst, sondern auch eine Herausforderung, eine Botschaft. Diese Botschaft ist an ihn gerichtet, sie ist ein Befehl, der ihn zum Handeln bewegen und auf den Weg zurückführen soll, von dem Ilomäki ihn abgedrängt hat. Das sieht Olli, obwohl er die Einzelheiten des Falls noch nicht kennt und sich auch nicht sicher ist, was er als Nächstes tun soll. Was Ilomäki betrifft, freut Olli sich ganz einfach darüber, wie sehr dieser sich geirrt hat und wie sehr er sich ärgern muss, wenn ihm die Sachlage klar wird. Das unreife Ego des kleinen Kriminalisten wird schlimme Dellen davontragen, die nicht so leicht auszubeulen sind. All dessen ist Olli sich erstaunlich sicher. Irgendwie haben die Dinge sich in seinem Kopf zu einer vollkommen logischen Abfolge geordnet, und er findet es ganz natürlich, dass sie jetzt an diesem Punkt stehen, so merkwürdig es allen anderen vorkommen mag.
»Hier ist etwas passiert, was über die Ebene der Drohungen hinausgeht«, beantwortet er nun endlich Tossavainens Frage. »Letzten Endes musste es wohl so kommen.«
»Wieso?«
»Den Rückwärtsgang kennt der Kerl nicht. Die Fälle werden die ganze Zeit schwerwiegender.«
»Vorläufig wissen wir noch nicht, worum es hier geht«, murmelt Tossavainen skeptisch.
»Natürlich nicht, aber irgendwie passt es ins Bild«, windet sich Olli. Sein Selbsterhaltungstrieb hindert ihn, mehr preiszugeben.
Tossavainen überlegt eine Weile, bevor er fragt: »Und wie lange wachsen die Fälle noch?«
»Woher soll ich das wissen?«, erwidert Olli. »Vielleicht ist das hier der Schlusspunkt. Oder erst der Anfang vom Ende.«
»Teufel noch mal!«, flucht Tossavainen und reibt sich die Stirn. »Wenn es sich wirklich so verhält, wie du glaubst, und wenn die Geschichte weiter eskaliert, stecken wir alle bis zum Hals in der Scheiße.«
»Genau.«
»Dagegen müssen wir was tun«, sagt Tossavainen entschlossen und lässt den Blick über die Spuren der Zerstörung schweifen.
»Bist du nicht krankgeschrieben?«, fragt Olli. »Und fällt die Sache überhaupt noch in unsere Zuständigkeit, wenn sich herausstellt, dass die Explosion absichtlich ausgelöst wurde?«
»Wer von uns beiden braucht hier eigentlich Krankenurlaub?«, frotzelt Tossavainen mit einem Blick auf Ollis blasses Gesicht, seine bläulichen Lippen, die dunklen Schatten unter seinen Augen und den Tropfen, der ihm schon wieder an der Nase hängt. »Und im Übrigen fällt alles in unsere Zuständigkeit. Wenn ein Verbrechen geschehen ist, muss sich die Polizei damit befassen. Du bist Polizist und ich auch.« Er sieht Olli in die Augen. »Und krankgeschrieben bin ich nicht meinetwegen«, fügt er dann hinzu und deutet mit dem Kopf auf die weiter entfernt stehenden Kollegen.
Manchmal wirkt Tossavainen völlig gefühllos. Wer seinen Zusammenbruch neben der Leiche des kleinen
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