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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Kilpi
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süßer Fratz«, stellt Tossavainen fest, in einem Ton, der alles sagt.
    In seiner Stimme liegt eine gehörige Portion Respekt und Bewunderung. Olli weiß haargenau, was Tossavainen meint. Es handelt sich um die Art von ungeheurer Ehrfurcht, die man seinen Sprösslingen gegenüber empfindet und die man so leicht vergisst, wenn das Kind heranwächst und zur alltäglichen Selbstverständlichkeit wird. Zu etwas, das man nicht mehr oft genug als größtes Wunder der Welt wahrnimmt.
    Olli kann nicht umhin, den Zeitungsstapel an der Wand zu bemerken. Es ist sonnenklar, worüber diese Zeitungen berichten. Eine ist vom Stapel gerutscht. Auf der ersten Seite prangt eine Riesenschlagzeile: Kindermörder. Das Foto zeigt allerdings nicht den Mörder, sondern einen Polizisten.
    »Da behaupte noch einer, ich hätte in meinem Leben nichts erreicht«, bemerkt Tossavainen mit einem Anflug von Sarkasmus.
    Olli schrickt auf und merkt, dass Tossavainen ebenfalls zu den Zeitungen schielt. Seltsam, dass er so genau verfolgt hat, was über ihn geschrieben wurde. Es scheinen sogar Lokalzeitungen aus anderen Städten dabei zu sein, deren Beschaffung einigen Aufwand erfordert hat.
    »Als Palo und Holsti umgebracht wurden, hat man die Polizeiarbeit exakt eine Woche lang kritisiert. Danach ist der Alltag wieder eingekehrt. Man muss sich einfach daran gewöhnen«, erklärt Tossavainen in beinahe mitleidigem Ton, als hätte Olli keine Ahnung, was ihn erwartet.
    Tossavainen lässt sich aufs Sofa fallen und schaltet den Fernseher ein. Olli schaut zum Fenster hinaus. Er weiß nicht recht, was er sagen soll, hat aber irgendwie das Gefühl, dass er gar nichts zu sagen braucht. Ein Papier knistert. Tossavainen wickelt ein Nikotinkaugummi aus.
    »Ich hab mit dem Rauchen aufgehört«, erklärt er.
    »Aufgehört?«
    »Ja. Es schmeckt mir nicht mehr.«
    Offenbar bringt Tossavainen es fertig, alles anders zu machen, als man denkt. Und damit stößt er Olli mit der Nase darauf, wie sehr der erste Eindruck von einem Menschen täuschen kann und wie falsch es sein kann, sich von diesem ersten Eindruck leiten zu lassen. Natürlich hat Tossavainen das Rauchen aufgegeben. Und das natürlich in einer Lage, in der andere zu immer stärkeren Mitteln greifen würden, um ihren Schmerz zu betäuben.
    Olli spürt, dass Tossavainen die Situation in gewisser Weise genießt, und fühlt sich plötzlich hintergangen, betrogen. Ohne es zu wissen, hat er sich an einem Spiel beteiligt, bei dem er dazu verdammt ist zu verlieren, bevor er überhaupt begriffen hat, dass er mitspielt. Tossavainen hat ihn bewusst in die Irre geführt. Und zwar verdammt erfolgreich, denn Olli muss zugeben, dass er über diesen Mann so wenig weiß wie über die Funktionsweise einer Düsenturbine. Tossavainen ist ein Fremder, ein großer Unbekannter.
    »Ich hab gestern Abend sicher allerhand gequasselt«, sagt Olli.
    »Worüber?«
    »Na, Ilomäki und so …«
    »Ja, dein erster Tag bei der Kripo und schon entdeckst du in diesem Kaff Terroristen. Allerdings, das hast du mir ausführlich erklärt.«
    Olli seufzt und versucht dann, seine Verlegenheit hinter einem gekünstelten Lachen zu verbergen. »Verdammt noch mal, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist«, erklärt er. »Wie konnte ich mich von diesem blödsinnigen Märchen einspinnen lassen? Unglaublich!«
    »War tatsächlich eine ziemlich wilde Story«, nickt Tossavainen und drückt auf die Fernbedienung.
    Als Olli zu weiteren Erklärungen ansetzt, deutet Tossavainen auf den Fernseher. Der Bildschirmtext berichtet von einem Explosionsunglück, das sich am frühen Morgen ereignet hat, und zwar in ihrer Stadt. Sekundenlang begreift Olli gar nichts. Dann blickt er erschrocken zu Tossavainen hinüber, dessen Miene merkwürdig ernst geworden ist.
     

    Das Haus steht an einer Straßenkreuzung, verloren wie der Teufel im Frost. Es sieht aus, als hätte es einen schlimmen Schnupfen bekommen und alles, was es in sich hatte, zu den Fenstern hinausgeniest. Auch die Fensterrahmen wölben sich nach außen, nur die soliden Steinwände und der Dachstuhl sind unversehrt geblieben. Wenn man sieht, wie viel schweres Gerümpel aus dem Haus geschleudert worden ist, kann man sich nur wundern, wie solide früher gebaut wurde. Dieses Haus hat Wind und Sturm erlebt, Kriege und Aufstände, Eckenpisser und Hausbesetzer, dazu jetzt eine Explosion. Und es steht immer noch.
    Es ist nicht irgendein Haus. Es ist das erste aus Stein gebaute mehrstöckige Haus in der Stadt. Auch

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