Erfrorene Rosen
vorher gewusst, wie es dort aussieht.
»Vielleicht warte ich lieber an der Tür«, meint er.
»Worauf?«
»Wir müssen gehen.«
»Wohin?«
»Aufs Revier.«
»Jetzt? Warum?«, fragt Olli mit einem Blick auf die Uhr.
»Wir müssen eben.«
Die Männer betreten das Büro des Gewaltdezernats und bleiben vor der Tür stehen, die ins Dienstzimmer des Dezernatsleiters, Kommissar Kylmänen, führt. Tossavainen klopft an.
»Herein!«
Tossavainen öffnet die Tür und hält sie Olli auf. Olli sieht ihn zögernd an. Warum soll er als Erster in unbekanntes Gelände vordringen? Als Tossavainen eine einladende Kopfbewegung macht, geht er dann doch wie befohlen hinein und bleibt mitten im Raum stehen.
Kommissar Kylmänen sitzt an seinem Schreibtisch, der mit Papieren und allerlei Kram überladen ist, und hat sich in seine Arbeit vertieft. »Setzt euch«, murmelt er und schreibt hektisch weiter.
Tossavainen hat bereits Platz genommen, bei Olli fällt die Reaktion langsamer aus. Er lässt sich vorsichtig auf einem würfelförmigen Ledersessel nieder.
Im selben Moment blickt Kylmänen von seinen Papieren auf und ist sichtlich verblüfft. »Ach, Entschuldigung«, sagt er, erhebt sich und streckt Olli die Hand hin. »Ich bin Arto Kylmänen.«
Olli springt auf, kaum dass sein Hintern den Sitz gestreift hat.
»Repo«, sagt er und lässt sich kräftig die Hand schütteln. »Olli.«
»Gut.« Kylmänen setzt sich wieder hin und vertieft sich erneut in seine Papiere, als habe er mit Olli nichts weiter zu tun.
Olli wartet, ungewiss, ob er sich setzen darf oder nicht, entscheidet sich dann dafür, es einfach zu tun. Er fühlt sich unbehaglich, denn je länger er untätig im Dienstzimmer des Kommissars herumsitzt, desto weniger versteht er, warum er hier ist. Es muss wohl damit zusammenhängen, womit er und Tossavainen sich in letzter Zeit beschäftigt haben. Kein Wunder, dass es ihm nicht gelingen will, eine bequeme Sitzhaltung zu finden. Er kommt sich vor, als säße er auf einem der Stühle, wie sie früher in den Vernehmungszimmern üblich waren, mit vorn gekürzten Stuhlbeinen, die den Vernommenen immer wieder vom Sitz rutschen ließen. Es riecht nach Kaffee. Der Geruch kommt von Kylmänens Schreibtisch, aus einer halb unter Papieren vergrabenen Tasse. Der Duft ist verführerisch, fast schon quälend. Da der Morgenkaffee für Olli ausgefallen ist, würde er selbst für eine halbe Tasse eine erkleckliche Summe opfern.
Er betrachtet das Bild, das fast die ganze Wand neben Kylmänens Schreibtisch einnimmt. Es zeigt ein schwarzes Dreieck, das von den beiden unteren Ecken her aufsteigt und genau in der Mitte mit der Spitze an den oberen Bildrand stößt. Die frei bleibenden Flächen sind in dunklem Orange gehalten, wie glühende Kohle.
Das Bild fasziniert Olli. Es scheint ihn aus dem Hier und Jetzt an einen fremden, mysteriösen Ort zu entführen. Das Dreieck wirkt wie eine Schutzwand, hinter der etwas Bedeutsames liegt, das eine seltsame Wärme ausstrahlt. Olli hat das Gefühl, er müsse hinter das Dreieck schauen, das Mysterium ergründen.
»Ein ulkiges Ding, oder?«, holt Kylmänen ihn in die Wirklichkeit zurück. »Wie ein Kaminfeuer, man könnte es ewig angucken. Dabei ist es so schlicht.«
Kylmänen ist eine widersprüchliche Persönlichkeit. Er wirkt gleichzeitig ruhig und ruhelos. Olli weiß nicht recht, was er von ihm halten soll, aber letzten Endes überwiegt der positive Eindruck. Kylmänen ist ein Mensch, dem man gern vertrauen würde, überlegt er. Aber letzten Endes wagt man es dann doch nicht. Unter der äußeren Schale steckt etwas, das man nicht auf Anhieb identifizieren kann. Kylmänen ist wie das Bild an seiner Wand. Ein Mysterium. Plötzlich begreift Olli, dass das Bild nicht einfach irgendein Gemälde ist. Es ist Kylmänens Selbstbildnis.
Kylmänen sitzt in lockerer Haltung an seinem Schreibtisch. Er hat die Beine übereinandergeschlagen und stützt den Kopf auf die Hand. Der andere Arm hängt schlaff über die Lehne. Sein dichtes rötliches Haar ist stark gewellt. Die grünen Augen funkeln verschmitzt wie bei einem kleinen Bengel, der sich gerade anschickt, Äpfel zu klauen, wirken zugleich aber auch friedlich, beinahe einschläfernd. Wie stark Kylmänen beruflich unter Druck steht, verraten nur die merkwürdig hellen Tränensäcke unter seinen Augen.
»Bei der Kripo warst du noch nicht?«, fragt er unvermittelt.
»N…nein«, antwortet Olli unsicher, räuspert sich und setzt sich noch gerader
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