Erfrorene Rosen
keine Tüten bei sich.«
Er überlegt eine Weile, dann setzt er seine Überlegungen fort.
»Nehmen wir einmal an, dass es sich um den Mann handelt, der hinter der Bombendrohung steckt. Er weiß also, dass es in einigen Minuten im ganzen Haus von Polizisten wimmelt. Trotzdem hängt er bei den Eisenwaren herum und anschließend in der Schuhabteilung, wo er obendrein noch einen verirrten kleinen Jungen aufliest.«
»Vielleicht will er mittendrin sein, wenn sich etwas tut«, entgegnet Olli.
Das ist die einfachste Erklärung, doch sie überzeugt Tossavainen nicht. »Warum bleibt er vor den ganzen Sachen stehen, wenn er nicht vorhat, sie zu kaufen? Wenn er Drohungen loslässt und später wirklich ein Attentat begeht, müsste ihm doch daran gelegen sein, Kameras zu vermeiden. Meinst du nicht? Stattdessen hat er sich so benommen, dass er garantiert von mehreren Kameras eingefangen wurde, und er kann nicht so dumm sein, dass er das nicht weiß.«
Olli ist der gleichen Meinung wie Tossavainen. Das Verhalten des Mannes macht keinen Sinn, hat keine Logik. Außer wenn man sich darauf versteht, die Dinge in ihr Gegenteil zu verkehren, und darin ist Olli als ehemaliger Werbefachmann ein Meister. Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf seine Lippen. Er guckt auf den Bildschirm und wendet sich dann mit einem fast dümmlichen Grinsen an Tossavainen.
»Er will gefilmt werden«, erklärt er.
»Warum denn das?«, fragt Tossavainen perplex.
»Weiß ich nicht, aber so macht es Sinn. Denn es ist doch Quatsch, sich filmen zu lassen, wenn man nicht genau das will. Oder?«
Tossavainen starrt auf den Bildschirm. An den Worten des Jungen könnte etwas dran sein.
»Vielleicht ist das eine Botschaft«, spekuliert er.
»Eine Botschaft?«
»Er weiß natürlich, dass die Videos überprüft werden. Auf diesem Weg lässt er uns wissen, dass er seine Bombe schon fertig hat und dass er sie zünden wird.«
»Warum sollte er das tun?«
»Er droht. Das ist eine Drohung. Die Bombendrohung im Kaufhaus hatte nur den einen Zweck, uns die eigentliche Bombendrohung zu übermitteln. Dummerweise haben wir das viel zu spät kapiert.«
»Oder wir sollten es erst hinterher begreifen«, sinniert Olli und lehnt sich zurück.
Allmählich wird das Schema beiden klar. Olli ist Feuer und Flamme. Als ihm sein Gefühlszustand plötzlich bewusst wird, lacht er auf, weil er ihn nicht längst erkannt hat. Er hat sich schon vor einer ganzen Weile von Zeit und Ort gelöst, sich von dem Fall mitreißen lassen wie ein Span im Fluss. Ein Rätsel gelebt und geatmet, das ihn immer tiefer in seinen Strudel zieht. Das gefällt ihm. Ab und zu hat er dabei sogar das Gefühl gehabt, den Kopf über Wasser halten zu können, seiner Aufgabe gewachsen zu sein, etwas von Kriminalermittlungen zu verstehen.
Tossavainen empfindet anders. Er lässt sich nicht mehr von Ermittlungsprozessen und Rätseln berauschen. Tossavainen hat ein ungutes Gefühl. So ähnlich wie dort im Wald, gleich nach dem Schuss, als er zwischen den Birken etwas auf der Erde liegen sah, aber noch nicht genau erkannte, was es war. Das war der Moment, als er zu ahnen begann. Das Schlimmste zu ahnen. Das Schlimmste zu fürchten.
Sechstes Kapitel
Jemand donnert so heftig an die Tür, dass der Schuhlöffel, der an einem krummen Haken gleich daneben hängt, herunterfällt. Trotzdem wird Olli nicht wach. Er hat einfach zu viel Schlaf nachzuholen. Der Besucher ist jedoch hartnäckig, und seine Ausdauer macht sich bezahlt. Olli, der auf einer einfachen Matratze in seiner kleinen Bude liegt, taucht allmählich aus dem Schlaf auf.
Es ist noch nicht einmal acht. Unter den schlafwarmen Füßen fühlt sich der Boden unangenehm kalt an. Um die Tür zu öffnen, muss Olli einen langen, massiven Schraubenzieher in das halb abgebaute Schloss schieben und so lange drehen und ruckeln, bis sich die Falle zurückschieben lässt. Manche Morgen beginnen anders, denkt er. Überraschend. Er ist sich allerdings nicht sicher, ob er Überraschungen am frühen Morgen mag, zu der Zeit, wo der Mensch besonders verletzlich ist. Aber was er davon hält, spielt keine Rolle, denn es ist bereits passiert: Dass Tossavainen an seiner Tür steht, ist eindeutig eine Überraschung.
Sie sehen sich an. Tossavainen wirkt ein wenig verlegen.
Olli kratzt sich vor Müdigkeit und Verblüffung am Kopf. »Komm rein«, sagt er reflexhaft und hält Tossavainen die Tür auf.
Tossavainen wirft einen Blick in die Wohnung. Nur ganz kurz, als hätte er schon
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