Erfüllen Sie meinen Herzenswunsch, Mylord!
unflätig wie die übrigen Gäste, brachte er Mrs. Hobart gegen sich auf und riskierte, dass sie einander niemals besser kennenlernten. Er bewunderte sie, und wenn sie sich auf einem Ball oder bei einer Soiree in London begegnet wären, hätte er sich mit Sicherheit darum bemüht, ihr vorgestellt zu werden. Schritt für Schritt wären sie sich nähergekommen, hätten zusammen getanzt, Spaziergänge im Park unternommen, Vorlieben und Abneigungen des anderen erfahren und die Bekanntschaft der jeweiligen Angehörigen gemacht. Und während dieser Zeit hätte er zärtliche Gefühle für sie entwickelt und sie ernsthaft hofiert. Zu seinem größten Bedauern machten es ihm die Umstände, unter denen sie sich begegnet waren, unmöglich, sie ordnungsgemäß zu umwerben.
Er wusste herzlich wenig über sie; sie war eine passionierte Lehrerin und eine liebende Mutter, die hohe Ansprüche an sich selbst stellte. Sie schätzte Ordnung und Disziplin ebenso wie höfliches Benehmen, und trotz ihrer strengen Erscheinung war sie von einem Liebreiz, dass er sein Herz an sie verloren hatte.
Charlotte Hobart ließ ihn vergessen, dass er Vorbehalte gegen eine zweite Vermählung hegte, dass er Kinder nicht mochte, insbesondere Mädchen nicht. Er konnte sich im Gegenteil plötzlich vorstellen, ein verantwortungsvoller Vater zu sein. Dabei hätte er ihr längst den Rücken kehren und Parson’s End verlassen müssen, um seine Reise fortzusetzen. Doch seit er Charlotte kannte, behagte ihm der Gedanke nicht mehr, Julia in einem Internat unterzubringen. Diese Frau hatte ihn verändert, hatte seinen Blick geschärft für die Bedürfnisse und Gefühle anderer, und angesichts ihrer fürsorglichen und liebevollen Art, die sie ihren Töchtern und den Dorfkindern entgegenbrachte, verstand er erst jetzt wirklich, dass er Julia nicht das gegeben hatte, was sie am meisten brauchte: Die Liebe und Zuwendung des Vaters.
Am Sonntag besuchten Charlotte, Miss Quinn und die Mädchen den Gottesdienst in Parson’s End und entkamen auf diese Weise für ein oder zwei Stunden der unangenehmen Gesellschaft ihrer Hausgäste. Im Anschluss unternahmen die vier einen Spaziergang am Meer. Die Zerstreuung tat allen gut, zumal es niemanden zurück nach Easterley Manor zog. Elizabeth und Frances tobten am Strand entlang und vergaßen zum Verdruss ihrer Gouvernante, darauf zu achten, dass ihre Rocksäume trocken blieben. Bald hatte Miss Quinn ihre Zöglinge eingeholt und sie sanft gescholten, während Charlotte ihr gemächliches Tempo beibehielt und über ihre missliche Lage nachzugrübeln begann. Mr. Hardacre hatte sich seit fast drei Wochen nicht bei ihr gemeldet, obwohl er so freundlich gewesen war, ihr seine Hilfe zuzusagen. Was tue ich, wenn er sein Wort nicht hält?, fragte sie sich und seufzte tief. Am Ende war sie doch gezwungen, auf Lord Falconers Türschwelle zu erscheinen, obwohl sie nicht einmal wusste, ob das Geld, das sie noch besaß, für die Reise ausreichen würde.
Plötzlich tauchte ein Schatten vor ihr auf. „Guten Morgen, Madam.“
Vor Schreck blieb Charlotte fast das Herz stehen. Sie hob den Blick und legte ihre Hand auf die Brust. „Lord Darton!“
„Es tut mir leid, Madam, ich wollte Sie nicht erschrecken. Haben Sie mich nicht kommen sehen?“
„Nein, ich war in Gedanken.“
„Ist es nicht ein schöner Tag heute?“
„Gewiss, ja“, erwiderte sie knapp.
Er lächelte. „Man freut sich seines Lebens.“
„Ja.“
„Sie klingen nicht wirklich überzeugt. Spielt Ihnen das Schicksal so übel mit, dass Sie sich nicht einmal zu einem Lächeln überwinden können?“
„Nicht das Schicksal spielt mir übel mit“, versetzte sie trocken. „Sondern ein paar Menschen …“
„Zu denen ich gehöre“, fügte er hinzu.
Sie senkte den Kopf und schwieg, was ihm Antwort genug war, und beschleunigte das Tempo. Zu ihrem Verdruss hielt er unaufgefordert mit ihr Schritt, daher heftete sie geflissentlich den Blick auf das Meer, ohne ihn weiter zu beachten. Er war so impertinent und von sich überzeugt, dass er ohne Zweifel erwartete, sie sei bereit, in seine Arme zu sinken, nur weil er sie anlächelte. Und wie selbstverständlich er seine Arme um sie gelegt und sie geküsst hatte vor dem Weinkeller, als ob sie ihm gehöre! Sie gehörte niemandem, auch wenn sie zurzeit auf das Wohlwollen anderer angewiesen war. Aber wem kann ich überhaupt noch vertrauen, fragte sie sich düster, während sie den Blick in die Ferne schweifen ließ.
„Sie scheinen
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