Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Leif auf, flüchtete nackt zum Zeltausgang. Doch ehe er das Steuerdeck erreichte, hatten ihn die Männer eingeholt, nach einem kurzen Gerangel war seine Kraft verbraucht und sie zwangen ihn wieder aufs Lager zurück. »Das dürft ihr nicht«, keuchte er. »Ich habe die Befehlsgewalt über das Schiff.«
Ohne den ruhigen Ton zu verlieren, erklärte Tyrkir: »Zurzeit nicht, mein Junge. Du bist eine Gefahr für dich selbst. Deshalb musste ich das Kommando übernehmen.« Er schnippte mit dem Finger und wies zwei andere Knechte an, den Kranken zu fesseln.
Leif verwünschte den Onkel, brüllte, bis ihm der Atem fehlte, und als er begriff, dass ihm wirklich Hände und Füße gebunden waren, sickerten Tränen aus den Augenwinkeln. »Onkel, warum tust du mir das an?«
»Weil Thorgunna deinen Verstand geraubt hat. Ich muss dich vor ihr retten.«
»Liebe. Es ist Liebe, so unendlich. Zerstöre nicht mein Glück und lass mich zu ihr!«
Dazu sagte Tyrkir nichts, betrachtete ihn nur bekümmert, schließlich stand er auf und stieg an Deck.
Kalt war es, über ihm glitzerte und funkelte der Nachthimmel. Mir blieb keine Wahl, dachte er, und jetzt gibt es auch kein Zurück mehr. Er sah zum Polarstern hinauf. Wie einfach ist es doch, mit seiner Hilfe den Kurs für ein Schiff zu bestimmen, wie schwer hingegen, meinen Leif auf den richtigen Weg zurückzuholen.
»Herr.« Der Steuerknecht näherte sich mit einem Öllicht. »Er verlangt nach Wasser. Er sagt, sonst verdurstet er.«
Seufzend nahm Tyrkir die kleine Flasche aus der Gürteltasche, tropfte etwas von dem schleimigen Inhalt ins Trinkgefäß und gab klares Wasser hinzu. »Komm, mein Freund! Wir dürfen unsern Schiffsführer nicht warten lassen.«
Drei Tage und Nächte dauerte der Kampf im Bordzelt, begleitet von Schreien und Erbrechen, von haltlosem Weinen und furchtbaren Drohungen. Oft genug musste Tyrkir sich selbst zwingen, um diese unerbittliche Strenge gegen den Kranken durchzuhalten. Heute, am vierten Morgen, lag Leif in tiefem Schlaf und sein eingefallenes Gesicht schien endlich Frieden gefunden zu haben.
»Bindet ihm die Hände los«, bestimmte er, konnte sich aber noch nicht entschließen, auch die Fußfessel lösen zu lassen. Vom Zelteingang winkte ihm der erste Bootsmann. »Was gibt es?«
»Besser, du kommst an Deck«, murmelte er.
Thorgunna hatte ihren Sklaven geschickt. »Meine Herrin lässt durch mich Grüße ausrichten und fragen, ob Leif Eriksson ihr die Freude bereiten will und heute Abend … Ach verflucht, ich behalte das einfach nicht. Also, weil er ja wieder gesund ist, deshalb soll er zu uns zum Essen kommen. Meine Herrin freut sich drauf.«
»Richte ihr das Bedauern des Schiffsführers aus. Leider muss sie auf seine Gesellschaft verzichten.«
»Ja, was denn nun?«
»Er kommt nicht«, übersetzte Tyrkir freundlich. »Und bestell ihr gleich dazu, dass Leif zu beschäftigt ist. Er wird das Haus deiner Herrin nicht mehr betreten.«
»Verdammt.« Der Knecht kratzte den geschorenen Kopf. »Bei der heiligen Jungfrau Maria, für diese Botschaft gibt sie mir die Peitsche.«
»Ich dachte, du darfst nicht bei ihrem Namen fluchen?«
Den Kopf eingezogen kehrte der Sklave um und bestieg sein Pferd.
Tyrkir stützte beide Arme auf die Reling. Niemand von unsern Leuten ist heute Morgen von Bord gegangen. Vor vier Tagen war der Knecht zum letzten Mal hier und ich habe ihn mit der Nachricht weggeschickt, dass Leif erkrankt sei. Und ausgerechnet heute taucht er wieder auf? Woher weiß Thorgunna, dass es dem Jungen besser geht?
Seine Narbe schmerzte. Das Wetter schlägt um, dachte er beiläufig und sah zum Himmel. Er hielt den Atem an. Nein, kein Zweifel, die Wolkenballen trieben von Süden her über die Insel. Unser Wind! Wenn er noch etwas dreht, dann wird er zu unserm Glückswind nach Norwegen. In die erste Freude mischte sich gleich wieder der Gedanke an Thorgunna. Deshalb also hat sie den Sklaven geschickt! Ihr Liebster ist wieder bei Kräften und unsere Abreise steht bevor. Das hat sie gespürt, ehe ich es selbst wusste. »Wären wir nur schon wieder auf hoher See«, murmelte er.
Der wieder offene, wache Blick und die besonnenen Anweisungen des Eriksohnes entschädigten die Mannschaft für alle Mühsal und Zweifel im zurückliegenden Tal der Irrwege, sie hatten mit ihrem Schiffsführer gelitten und ihn gerettet. Das Lachen war endlich wieder an Bord zurückgekehrt und die letzten Vorbereitungen gingen leichter von der Hand.
Nach einer Woche befahl Leif,
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