Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
keinen Kampf zwischen den weisen Frauen von Drimore anstiften. Leicht könnte Leif dabei endgültig zum Opfer werden. »Mir kommt es nur darauf an, dass der Junge wieder einen klaren Kopf hat.«
»Bei Odin und seinen drei Nornen. Das schwöre ich dir.«
Trude schälte sich ganz aus dem Lumpenberg und sprang auf. Eine kleine drahtige Frau, nicht alt, auch nicht mehr jung, genauer vermochte er sie nicht einzuschätzen. Das lange Gewand war sicher vor Monaten zum letzten Male gewaschen worden und hing fransig um ihre dicken Wollstrümpfe. »Bleib da sitzen und wehe, du gibst einen Laut von dir!«
Mit einer Silberschale bewaffnet wieselte sie vor den Mauernischen hin und her, nahm da ein Kraut, dort ein Knöchelchen, gab bräunliche kleine Brocken hinzu, und während sie das Gemisch mit einem Stößel zerstampfte, hörte Tyrkir ihr Summen.
»Das wäre die Grundlage«, wisperte sie befriedigt und setzte die Schale auf einem Holzklotz ab. »Nun drei Augen vom Lachs.« Jetzt sprach sie während der Zubereitung ihre Rezeptur halblaut vor sich hin. »Etwas Urin vom Hasen.« Aus einem Säckchen gab sie kichernd ein dunkles Pulver dazu. »Eine Prise von getrocknetem Monatsblut, dass es erschreckt den liebestollen Bub.«
Nachdem sie lange gerührt hatte, goss sie aus einem Krug ölige Flüssigkeit in die Schale. »Ranziger Seehundtran mit Möwenkot und aufgebessert mit Bibernelle und etwas Schierling.« Trude tunkte den Löffel ein, roch, streckte die Zunge heraus und Tyrkir staunte: Ohne den Schleim zu berühren, schmeckte sie ihn ab. Etwas schien noch zu fehlen, denn sie nahm den Deckel von einem Topf und entnahm zwei Kügelchen, die sie auf einem Brett zerquetschte, »In Pfefferöl eingelegte Katerhoden, damit wird’s scharf«, und schabte den Schmier ins Gebräu.
Trude ging zur Feuerstelle und ließ die Schale auf der brodelnden Suppe schwimmen. Dreimal fuhren ihre Hände in gegenläufigen Kreisen über den Tiegel, dann streckte sie die Arme zur Decke. »Odin, hörst du mich?«
In dieser Stellung verharrte sie, bewegte nur noch ihre Lippen. Nach einer Weile nahm sie das Rippensieb, fischte damit die Silberschale und setzte sie auf dem Holzklotz ab.
»Mein Teil ist geschafft.« Sie lächelte Tyrkir aufmunternd zu. »Sobald der Sud erkaltet ist, werde ich ihn dir mitgeben.« Sie hob den Finger. »Der Erfolg hängt jetzt ganz von dir ab. Nur wenn du genau nach meinen Anweisungen vorgehst, wird dein Freund rasch vom Zauber dieses Luders befreit sein.«
Tyrkir hörte zu, hin und wieder strich er bestürzt über die Narbe und fühlte sich schließlich vorbereitet für Leifs Heilung.
Wie schon seit Tagen kehrte Leif auch am folgenden Morgen übernächtigt zurück; nur mit Mühe schaffte er es, die Außenleiter hinaufzusteigen, und Tyrkir half ihm über die Reling.
»Ach, Onkel.« Grinsend und mit glasigem Blick stand er vor seinem Ziehvater. »Ich fühle mich so leicht, wie eine Möwe.«
Betroffen stellte Tyrkir fest, wie sehr der Zustand sich seit gestern verschlimmert hatte, und er fürchtete, dass von dem strahlenden Erikssohn, dem Stolz der Thjodhild, bald nur noch ein Schatten übrig sein würde. Jetzt musste gehandelt werden, ganz gleich, welchen Kampf es auch erforderte.
»Eine Möwe? Wie schön, mein Junge. Thorgunna vollbringt in der Tat wahre Wunder an dir.«
»Du verstehst mich. Himmlische Freuden, so nennt Thorgunna das, und die will sie mit mir genießen.« Er fasste mit dem Finger nach seiner geschwollenen Zunge, »Durst«, und schlurfte zum Bottich. »Der Met macht mich so durstig.«
Zweimal griff er ins Leere, ehe er den Stiel des Schöpfers gepackt hatte.
Tyrkir trat hinzu, wie unbeabsichtigt stieß er gegen den Arm und die Kelle fiel aufs Deck. »Ich helfe dir.«
Er zog den Becher aus der Lederschlaufe am Bottich und füllte ihn halb voll mit Wasser. Nach kurzem Schütteln reichte er ihm das Gefäß. »Still deinen Durst, mein Junge!«
Leif führte den Becher mit beiden Händen an die Lippen und trank gierig, leerte ihn bis auf den letzten Tropfen. »Onkel …« Sein Gesicht wurde grau, der Becher rutschte ihm aus den Fingern, er wankte vor und zurück. »Onkel, dieses Wasser …«
Ein Schütteln ging durch seinen Körper, Leif krümmte sich, rang nach Luft, jäh richtete er sich wieder auf, tappte suchend im Kreis herum und schrie wie ein todwundes Tier. Endlich fand er den Ziehvater, mit angstvollem Blick streckte er die Finger nach ihm aus, erreichte ihn aber nicht. Wellen rollten durch
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