Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
war Leif aus dem Gesicht gewichen. Immer wieder feuchtete er seine Lippen an. »Weil ich nicht … Du gehörst zu der reichsten Familie hier. Dein Vater und die Verwandten würden mich hassen, wenn ich dich ohne ihre Erlaubnis mitnehme.«
»Was kümmert eine Frau noch Sitte und Gepflogenheit, sobald ihr Herz entflammt ist? Mit Freuden zerreiße ich alle Familienbande und will dir folgen.« Sie bot ihm die Hände dar. »Hab Mut, mein starker Held. Entführe mich!«
Leif schwankte, sein Blick floh zum Onkel und wurde doch gleich wieder von Thorgunna eingefangen. »Ich bin das Glück«, drängte sie, »hör auf die einzige Stimme in deinem Innern!«
»Das ist es ja. Nicht eine, es sind zwei Stimmen in mir. Und sie kämpfen miteinander und quälen mich.« Jäh straffte Leif den Rücken. »Nein!«
Wie nach einem Schlag hielt sich Thorgunna die Wange. »Was sagst du?«
»Nein.« Sein Ton wurde fester. »Bei einer Heirat muss der Verstand das Jawort geben und das Herz darf höchstens zustimmen, mehr ist ihm nicht erlaubt. Da mein Verstand es mir verbietet, bleibe ich dabei: Nein!«
Thorgunna öffnete halb die Lippen und summte vor sich hin, mit einer zärtlichen Geste legte sie die Hände unter den Busen und ließ ihren Körper sanft hin und her schwingen.
Verwundert sah Leif ihr eine Weile zu. »Was ist mit dir?«
»Ich wiege und tröste unser Kind. Weil sein Vater uns im Stich lässt.«
»Nein«, stöhnte er, hob die Arme, wusste nicht, wohin mit ihnen, und ließ sie sinken.
Er schafft es nicht allein! Tyrkir musste eingreifen. »Das ist eine List, Junge. Gib nicht nach!«
Ohne ihr Wiegen zu unterbrechen, lächelte Thorgunna. »War dein alter Ziehvater in meinem Bett? Nur du, Liebster, weißt, was dort geschah. Erinnere dich! Auch an die Schwüre.«
»Nie habe ich dir mein Wort gegeben. Nichts weiß ich mehr. Sobald ich dein Haus betrat, stieg ich in eine andere Welt. Verstehst du, ich erlebte alles wie durch Schleier.«
»Wie schön du unser Glück beschreibst.« Sie schlug die Wimpern zu ihm auf. »Ich schwöre bei der Jungfrau Maria und allen Engeln: Es ist ein Sohn, den ich unter meinem Herzen trage.«
Leif riss sich los, mit dem Rücken zu ihr starrte er an seinem Schiff vorbei übers Wasser. »Nein!«, schrie er zum weit entfernten Horizont, schrie es noch zwei Mal und wandte sich gestärkt wieder um. »Ich werde Drimore verlassen, ohne dich. Leb wohl!«
Ein Seufzer voller Trauer, beim nächsten Atemzug schon hatte sich ihre Miene geändert, in den dunklen Augen zog ein neuer Glanz auf. »Eine Frau weiß, wann sie verloren hat. So fahre ohne mich! Den letzten Wunsch aber solltest du mir nicht abschlagen: Gib mir etwas, das dir gehört, und lass uns beim Schein einer Kerze zusammensitzen und Abschied nehmen!«
»Bei Thor, keinen Fuß setzt du auf mein Schiff!«, entfuhr es ihm, gleich lenkte er ein: »Verzeih! Ich meine, Abschied ja, doch nicht an Bord, sondern hier auf dem Strand. Für Licht und Sitzgelegenheit lasse ich sorgen.«
Nach einigem Zögern gab sie sich auch damit zufrieden.
Sichtlich befreit erklomm Leif die Außenleiter, und kaum war er unter Deck verschwunden, richtete sie den Blick auf Tyrkir. »Du Ausgeburt der Hölle«, zischte sie und ihr Ton verlor jeden vornehmen Schnörkel. »Ich hab dich unterschätzt, Narbengesicht. Du warst es. Mit welchem Gift hast du mir den Geliebten entfremdet. Oder hat dir einer dabei geholfen, raus damit!«
»Niemand, schöne Frau. Und im Übrigen verstehe ich gar nicht, was du meinst?« Tyrkir wollte unbedingt den Frieden erhalten und setzte nur milde hinzu: »Mein Ziehsohn ist wieder gesund. Dafür bin ich den Göttern dankbar.«
»Dass ein Heide mir ins Handwerk pfuscht …« Thorgunna brach ab, denn Leif kehrte mit Geschenken und seinem ersten Bootsmann zurück. »Wo möchtest du sitzen?«
Sie wählte eine sandige Stelle dicht am Wasser. Nach ihrer Weisung wurden die beiden Schemel so angeordnet, dass zwischen ihnen der dritte Hocker mit dem Kerzenkrug wie ein kleiner Tisch Platz fand. »Lass uns allein voneinander Abschied nehmen, Liebster.«
Ehe Leif den Onkel bitten musste, entfernte sich Tyrkir, blieb aber voll Unruhe in der Nähe. Neue Gefahr drohte, das spürte er, erkannte sie aber nicht. Scharf beobachtete er jede Geste der beiden. Zunächst überreichte Leif die Geschenke. Thorgunna bewunderte den scharlachfarbenen Mantel aus feinstem grönländischen Wollstoff, legte ihn um die Schultern und drehte sich. »Wie steht er mir?«
»Du
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