Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
im Hang und war von oben nicht zu erkennen gewesen, weil die Wiese wie ein Teppich sein Dach bildete. Und genau dort grasten die Schafe, krächzten die Kundschafter der Urraben Hugin und Munin.
»Hier bin ich richtig«, schmunzelte er.
Das Gemäuer war halb verfallen, die Tür bestand aus schlecht zusammengebundenen Stöcken und Treibholz. Mit Vorsicht zog er sie auf.
Dicker Rauch schlug ihm entgegen, biss in die Augen, er hustete, und ehe er sich an das schwache Licht gewöhnt hatte, strich etwas durch sein Gesicht. Erschreckt sah er auf. Katzenfelle mit Köpfen und Pfoten, sie baumelten an Schnüren von der Decke. »Trude?«
Keine Antwort kam. Langsam tastete sich Tyrkir zwischen Körben und Krügen zur Feuerstelle. Im Kessel siedete ein übel riechendes Gebräu. »Trude?«
Nichts.
Er wischte sich die Augen und entdeckte durch den Qualm am Boden vor der hinteren Wand eine Schlafstatt. Keine Decken, nur ein Haufen aus Lumpen, mehr nicht. Sicher ist die Völva für kurze Zeit hinausgegangen, überlegte er, ich werde warten, und setzte sich auf den Hocker neben der Glut. Jede Mauernische war genutzt, um Knochen und Knöchelchen, Wurzeln und Töpfe aufzubewahren, sogar Schädel von Ziegen fand er. An der langen Schnur quer durch den Raum hingen neben den Katzenfellen getrocknete Kräuterbüschel und ein Sieb aus Menschenrippen.
Tyrkir nickte nachdenklich. Auch wenn hier jetzt alles verschmutzt und ärmlich wirkte, sicher hatte die Völva schon bessere Zeiten erlebt, denn ihre Heil- und Zaubermittel erinnerten ihn an die vornehme Stube der Seherin vom Adlerhof auf Island.
»Wer kommt Trude besuchen?«
Er fuhr herum. Niemand hatte den Raum betreten.
»Wer nicht antworten will, der soll verschwinden und mir meine Ruhe lassen.« Die Stimme war leicht gedämpft und doch sprach sie aus nächster Nähe.
»Tyrkir. Ich komme aus Grönland zu dir. Man nennt mich auch den Deutschen.«
»Bist du Christ?«
»Der große Tyr wohnt als Beschützer in mir.«
»Sonderbar. Weil meine schwarzen Schafhirten so laut krächzten, fürchtete ich schon, Pater Rufius wollte mich wieder zu seinem Glauben bekehren. Sie spüren jeden Christen, musst du wissen, aber bei diesem Priester werden sie besonders wütend. Na gut, ich will dir glauben. Was kann ich für dich tun?«
Inzwischen war sich Tyrkir sicher, dass die Völva aus der hinteren Wand zu ihm sprach. »Mein Freund ist krank. Kannst du ihn retten?«
Kichern, erst nach einer Weile kam die Antwort. »Aus der Ferne? Das kostet dich mehr Silber und ich kann mich für den Erfolg nicht verbürgen. Hat er sich etwas gebrochen oder Schmerzen im Leib?«
»Das nicht, eher im Kopf.« Tyrkir sah ratlos zur hinteren Mauer und hob die Achseln.
»Entweder erklärst du mir genau, was ihm fehlt, oder verschwinde!«
»Nein, schick mich nicht weg! Eine Frau hat Leif mit ihrem Zauber eingefangen.«
»Ach, ach«, spottete Trude, »quälen ihn Liebesschmerzen?«
»Eher leide ich darunter und er schwebt über dem Boden.«
»Bei den drei Nornen! Vergeude nicht meine Zeit. Oder bist du doch von diesem Rufius geschickt worden?«
»Nein, ich kenne ihn gar nicht.« So kurz wie möglich schilderte Tyrkir die Lage, in der sich sein Ziehsohn befand. Als er vom gestrigen gemeinsamen Mahl und den geheimnisvollen Zutaten berichtete, unterbrach ihn die Völva scharf: »Wie heißt diese Frau?«
»Thorgunna.«
Erschreckt sah er, wie sich die Lumpen auf der Lagerstatt bewegten, aus dem Haufen wuchsen Finger, Arme und gleich tauchte ein Gesicht auf, umrahmt von strähnig fahlgelben Zotteln. Aus hellen, wachen Augen starrte ihn Trude an.
»Dieses Luder hat mir mein Geschäft versaut. Früher gingen die Kranken zu meiner Mutter. Thorgunna und ich haben die Kunst von ihr gelernt. Nach ihrem Tod waren wir beide die Völvas von Drimore. Doch zu mir kamen fast alle, selbst die reichsten Kauffahrer, weil ich eben die Bessere von uns beiden bin. Aber dieses Biest ist dann einfach Christin geworden und steckt jetzt mit dem Priester unter einer Decke. Erst wird mit dem Kreuz herumgefuchtelt, dann gibt es Mittelchen von Thorgunna und danach wird kräftig zur Mutter von diesem Jesus gebetet.« Trude streckte die Zunge lang heraus. »Bloß eine neue Masche, nichts sonst, die Heilkräuter sind die alten geblieben. Aber mir bleibt die Kundschaft weg.« Sie lachte auf. »Gut, dass du mich besucht hast. Endlich kann ich dieser Giftmischerin beweisen, wie schnell ich ihre Rauschmittel in Luft auflöse.«
Tyrkir wollte
Weitere Kostenlose Bücher