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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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bist noch schöner«, gestand Leif.
    Mit schier ungläubigem Staunen nahm sie den Gürtel aus Walrosszahn entgegen. »Ich wusste gar nicht, dass bei euch im Norden so große Künstler leben.«
    »Es gibt nur einen, der so was schnitzen kann. Mein Onkel.«
    Tyrkir nagte an der Unterlippe. Er war verärgert, weil sie ausgerechnet seine beste Arbeit als Geschenk erhielt, auf der anderen Seite fühlte er sich von ihrem Lob geehrt.
    »Der Ziehvater? Ich sagte dir ja immer schon, er ist ein wertvoller Mensch.«
    Wie glatt ihr die Lüge von den Lippen geht, staunte Tyrkir. Diese Frau weiß das Segel wahrlich vor dem Wind zu halten.
    »Ein Ring!«, jubelte sie. »Ach, Liebster, bitte stecke ihn mir selbst auf. Sicher gehörte er deiner Mutter.«
    »Ja, gewiss. Gutes Gold.« Während Leif ihre Hand nahm und den passenden Finger wählte, konnte sein Ziehvater ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Auch du verstehst das Lügen, Junge, noch etwas unbeholfen zwar, aber es erfüllt den Zweck. Der Ring entstammte der Schmuck- und Silberkiste an Bord, aus der die Einkäufe während der Fahrt bestritten wurden.
    »Darf ich dich zum Dank küssen?«
    Sofort beugte sich Tyrkir vor. Nur kurz drückte sie ihre Lippen auf den Mund seines Schützlings. Nein, nichts Auffälliges, dachte er, und dass Leif nach dem Kuss ein wenig schwankt, wen wundert es, bei all der Leidenschaft, die er mit ihr erlebt hat. Nein, ich habe mich getäuscht, es gibt keinen Grund für meine Unruhe. Im Gegenteil, ich sollte froh sein, dass der Abschied so glimpflich und in Frieden vonstatten geht.
    »Nun komm, mein Stern, lass uns noch einen letzten vertrauten Moment genießen.« Sie bat Leif, sich auf den Hocker direkt am Wasser zu setzen, und rückte ihren Schemel so, dass sie mit dem Mantel die Brise abschirmte und das Windlicht zwischen ihnen ruhiger brennen konnte.
    »Wenn du mir auch unendlichen Schmerz bereitest, so werde ich dir nicht zürnen.« Sie legte ihr Kopftuch ab, prüfte flüchtig den Sitz der Kämme und Nadeln im hochgesteckten Haar und hob die Kerze aus dem Krug. »Schau mich an, mein Liebster, ich möchte, dass dieses Bild von mir in deiner Erinnerung bleibt.«
    »Ich werde dich nie vergessen«, murmelte er hingezogen.
    »Das hoffe ich.« Mit der rechten Hand führte sie die Kerze näher an sein Gesicht. »Bewege dich nicht! Gib mir Zeit, zum letzten Mal den Stern im Blau deiner Augen leuchten zu sehen.« Langsam hob sie auch ihre linke Hand zur Kerze.
    Eine Nadel! Tyrkir bemerkte das Aufblitzen, und ehe er begriff, stieß Thorgunna die Spitze in die Flamme. »Ich stech das Licht, ich stech ins Herz, das ich liebe.« Reglos saß Leif da, sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt. »Es gibt keine andere Frau mehr für dich. Und wirst du mir jemals untreu, so soll es dein Tod sein.«
    Tyrkir sprang hinzu. »Weibsstück …«
    »Komm nicht näher«, warnte ihn Thorgunna. Zwischen Daumen und Zeigefinger schwebte die Nadel vor der Flamme. »Zwinge mich nicht, das Licht ganz zu durchstechen, denn damit wäre auch jedes andere Glück für deinen Ziehsohn auf ewig zerstört. Leif hört nur meine Stimme, also schweige, bis ich den Bann löse!«
    Sie führte die silbrige Spitze wieder in die Flamme. »Liebster, ich werde unsern Sohn aufziehen und ihn dir, sobald er laufen kann, nach Grönland senden. Und wisse, Liebster, du wirst an dem Jungen ebenso viel Freude haben wie dich das Scheiden von mir erfreut. Und ich selbst werde, ehe alles zu Ende ist, mich auch auf den Weg zu dir begeben.« Wie zu einem Kuss beugte sie sich über die Kerze und blies sie aus.
    Im selben Moment erschlaffte Leif, sank vom Schemel, und ehe er hinschlug, fing ihn sein Onkel auf.
    Ruhig erhob sich Thorgunna. Erst schnippte sie die Nadel ins Wasser, dann blickte sie Tyrkir voller Verachtung an: »Hast du wirklich geglaubt, du könntest dich mit mir messen? Ich gebe nie auf, merke dir das gut, Narbengesicht, und zum Schluss gewinne ich immer.« Ohne Hast, mit wiegenden Hüften verließ Thorgunna den Strand. Die Sklaven halfen ihr in den Sattel und zogen das Packpferd hinter sich her.
    »Du bist keine Völva«, flüsterte Tyrkir und wusste nicht, wie Christen solch eine Frau nannten, es war ihm auch gleich. »Zumindest jetzt habe ich dir den Jungen entrissen. Das ist mein Sieg.«
    Nachdem sie den Vorplatz des Hafens überquert hatte und längst zwischen den Häusern entschwunden war, erwachte Leif aus der Benommenheit. »Wo ist Thorgunna?«
    »Fort, Junge. Sie wollte nicht länger

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